Skip to main content

Das lesende Gehirn

Autor Wolf, Maryanne
Verlag sonstige
Seiten 350 Seiten
ISBN 978-3-8274-2122-7
Preis 26,95

Das lesende Gehirn liest Das lesende Gehirn – allein diese Selbstreflexivität oder Rekursvität motiviert dazu, dieses Buch zu nehmen, es zu betrachten: vor die Augen zu führen (das Sehen spielt nämlich eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Lesekompetenz) und es zu lesen, von vorn bis hinten. Und das, obwohl wir Menschen „nicht als Leseratten geboren“ wurden (S.3). Lesekompetenz hat eine Entwicklungsgeschichte, die – unter anderem – unsere neurobiologischen Sehsysteme und weitere ältere Hirnfunktionen betrifft: Sie wurden zunehmend differenzierter bzw. funktional „umgepolt“. Das ist vereinfacht ausgedrückt und lediglich ein Puzzleteil aus dem Spielkasten, den die Leiterin des Center for Reading an Language Research an der Tufts University uns Lesern anbietet. Sie forscht auf dem Gebiet der kognitiven Neurowissenschaften mit dem Schwerpunkt Dyslexie oder Legasthenie – und beides, die Kundigkeit sowie das Spezialinteresse – lesen Leser auf jeder Seite mit. Ebenso das Gefühl der begeisterten Gefesseltheit, der Dankbarkeit und Freude, des Lesens und Schreibens mächtig zu sein.

Gingen Sie, werte Leserin, werter Leser, schon einmal an Werbeplakaten vorbei (realiter oder virtuell im Internet) – entweder tief versunken und nur blickend, nicht sehend oder rezeptiv schauend oder wild entschlossen, Werbebotschaften bewusst zu ignorieren? Nun ja, dann kennen Sie die Erfahrung, die den Appell begleitet: Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten. Einmal erworbene Lesekompetenz lässt sich nicht vergessen, abstellen, wegschieben. Das schaffen wir nicht einmal, wenn uns die Buchstaben oder fremde Schriftsysteme begegnen: Wir versuchen, sie zu lesen – und „lesen“, ohne zu verstehen. Ja, das gibt es. Und die fachkundige Autorin erläutert, wie und unter welchen Bedingungen es dazu kommt.

Anhand historisch-anthropologischer, und kulturspezifischer Entwicklungen, bilogisch-evolutionärer Erklärungsmodelle (Gehirn-Sozietät-Schreiben/Lesen) sowie am Beispiel von Legasthenie und biografischer Einsprengsel führt Maryanne Wolf den Leser in die Anfänge der menschlichen Lese- und Schreibkompetenz und spaziert – den Leser sanft und fest an der Hand – bis in die heutige Zeit, die traditionelle Lese-, Schreib- und Verstehensfähigkeiten und –fertigkeiten jenen Fähigkeiten und Fertigkeiten gegenüberstellt, die das Digitale provoziert. Dieser Aspekt der „neuen Medien“ und des verbreiteten Umgangs damit widmet die Autorin wohltuender Weise konstruktiv-kritische Fragen und Überlegungen, fast peripher. Das Hauptanliegen ist es, zu vermitteln, welcher biologischer und kognitiver Entwicklungen und Fertigkeiten es bedarf, Schriftsysteme zu entwickeln, schreiben und lesen und dann noch: lesendes Verstehen zu ermöglichen.

Sehr charmant lässt Maryanne Wolf den Leser teilhaben an ihrer Faszination, lesen zu können und diese Kompetenz an Literatur zu üben. Dabei, auch dies erfrischend, gibt sie keine Lehrstunde in „hohe Literatur“. Sie erläutert, was insbesondere Kinder und Heranwachsende die sich in Fantasy, Science Fiction und ähnliche Literaturgattungen vertiefen, lernen: lesen, denken, sinnieren, soziales Einfühlen und Eindenken etwa.

Die Herleitung von Lesekompetenz steht im Vordergrund: phylogenetisch, ontogentisch – und damit auch individuell und sozial. Maryanne Wolf erläutert immer wieder, was Erwachsene tun können, um Lesefreude bei Kindern zu wecken.

Dieses Buch hat viele Facetten – ein außerordentlich lehrreiches Vergnügen für Menschen, die über Lese- und Schreibfertigkeit immer wieder staunen können. Lassen Sie Ihr Gehirn Das lesende Gehirn lesen!

Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de
drmahlmann@aol.com
 

Dr. Regina Mahlmann