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Das schlechte Gewissen – Quälgeist oder Ressource? Neurobiologische Grundlagen und praktische Abhilfe.

Autor Maja Storch und Gerhard Roth
Verlag hogrefe
ISBN 978-3-456-86134-0

Das Autorenpaar greift ein jedem bekanntes Phänomen auf: das schlechte Gewissen. Der Fachmann für Verhaltensphysiologie und Neurobiologie und die Psychologin und Psychoanalytikerin teilen sich dabei die Beiträge auf. Zur Hinführung schildert Maja Storch drei Beispiele eines schlechten Gewissens und spricht dort drei Optionen an: ein schlechtes Gewissen beseitigen bzw. „zum Schweigen bringen“, „mildern“ durch Kompromiss oder integrative Lösung und es „aufgreifen“ und für eine grundsätzliche „Richtungsänderung“ nutzen. Diese Strategien werden anhand der Beispiele im dritten Kapitel wieder aufgegriffen, um zu zeigen, welche (exemplarischen) Lösungsvarianten rasch Abhilfe schaffen. Im Rahmen dessen verweist Maja Storch auf Erkenntnisse, die auf den Ausführungen des Hirnexperten referenzieren.

Persönlichkeits-Modell
Im zweiten Kapitel führt Gerhard Roth in das von ihm und Manfred Cierpka entwickelte Modell der Persönlichkeit(sbildung) ein. Dieses Modell findet sich ausführlich in anderen Publikationen von Gerhard Roth, auch mit Koautoren; alle im Umkreis von Schul-, Weiterbildung, Coaching, Therapie. In dem hiesigen schmalen Band genügt eine Skizze des Modells, das es, kombiniert mit Bildern und stark vereinfachten Formulierungen, auch für jene Leser verständlich macht, die sich erstmals mit neurobiologischen Fragen der Persönlichkeits- und hier speziell: der Gewissensbildung befassen. Umrahmt sind die Erläuterungen zur Entwicklung von (schlechtem) Gewissen mit Bezügen zu Vorläufern, die sich mit der Thematik beschäftigt haben, mit psychologischen Modellen wie der operanten Konditionierung, mit Prägung durch normative Sozialisation und Motiven (Motivkonflikten) sowie weiteren Einflüssen auf insbesondere psychische Prozesse; instruktiv ist zudem die Einbettung von Gewissensbildung Bildung in eine Klärung von Begriff, Bedeutung, Funktion und Handlung(sabsicht).

Es ist vor allen anderen eine neurobiologische und -psychologische Kernaussage, die als die Beiträge vereinigendes Band wirkt: Gewissen ist vornehmlich durch biologische und funktionale Entwicklungsstadien des Gehirns, durch seine Topographie und Funktionsweise und daher durch Emotionen und Sprachbilder (z.B. Metaphern, Zeichnungen) erreichbar, weniger durch rationale, verbalsprachliche Einsichten, weil sich Gewissensbildung vorzugsweise in jenen Regionen des limbischen Systems vollzieht, die physiologisch (siehe die Erläuterungen zu insbesondere den Psychoneuronalen Systemen) bzw. vor- oder nonsprachlich geprägt werden. Aus diesem Grund stellt Maja Storch einige Techniken vor, die sich dem schlechten Gewissen vorzugsweise nichtverbal nähern. Inwiefern die Techniken (Embodiment praktizieren, Affektbilanz erstellen, Motto-Ziele formulieren/zeichnen) faktisch Abhilfe schaffen, muss dem Probieren überlassen werden, zumal nicht jeder auf die nonverbalen Interventionen anspricht.

Ordnungssysteme
Dass das Grundmodell sowie seine fundamentalen Annahmen und daher damit verknüpfte Handlungsempfehlungen durchaus kritisch diskutiert und andere Erkenntnisse bzw. Folgerungen erwogen werden können, ist kein Makel. Denn insbesondere mit dem Modell der Persönlichkeitsbildung, präziser: mit den drei „Ordnungssystematiken“ (eine einprägsame Abbildung findet sich auf S. 67) bietet Gerhard Roth eine Bezugsgröße an, die Grundlagen dafür legen, um sowohl pädagogische als auch psychologische Empfehlungen für Curricula und Interventionen, einschließlich der Hilfe zur Selbsthilfe, versuchen, überprüfen, verfeinern zu können. In Bezug auf die Thematik „schlechtes Gewissen“: „Quälgeist oder Ressource“ kann der schmale Band als Einstieg gelesen werden, sowohl, um das Phänomen (subjektive Erleben) verstehen zu lernen, als auch, um ihm souverän zu begegnen. Weitere Lektüre sollte in jedem Fall entwicklungs- und sozialpsychologische und in diesem Umfeld soziologische Forschung einbeziehen. Hanspeter Reiter www.dialogprofi.de www.gabal.de

Regina Mahlmann