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Das Zeitalter der Extreme

Autor Eric Hobsbawm
Verlag dtv
ISBN 978 3 423 30657 7
Das 1994 erstmalig erschienene Werk des kürzlich verstorbenen Eric Hobsbawm gehört vermutlich zu den persönlichsten Reisen durch die neuere Geschichte. Bereits im Vorwort verweist der Autor auf seinen selektiven Blick, der indes keine Beschränkung auf persönliche Erfahrungen meint, sondern – eher im Gegenteil – eine besondere Sichtweise. Das deuten bereits die Überschriften an: Eine „Vogelschau“ wird beschrieben, und dieser Blickwinkel streift drei „Zeitalter“: „das Katastrophenzeitalter“ bis 1945, das „Goldene Zeitalter“ bis in die 1990er Jahre und „Der Erdrutsch“. 
 
In allen drei Teilen des Buches werden historische Geschehnisse nicht singulär betrachtet, sondern globale Entwicklungen miteinander in Verbindung gebracht. Politische, ideologische, soziale und kulturelle Eigentümlichkeiten werden verwoben und aufeinander bezogen, und der Autor ist mutig genug, jeweils Stellung zu beziehen.
 
Absicht des Buches ist nicht, eine umfassende globale Geschichte ab 1914 vorzulegen, sondern: „Mein Ziel ist jedoch, zu verstehen und zu erklären, weshalb die Dinge eben den Gang genommen haben, den sie nahmen, und wie sie miteinander zusammenhängen.“ (17) Wer sich auf die Lektüre einlässt, wird diesem Ziel näher gekommen sein. Und vielleicht auch seine Interpretationen vergangener und gegenwärtiger Tendenzen verständiger als Rekurs für zukünftige Entwicklungen bzw. Chancen und Risiken sehen: „Dieses Buch kann nichts darüber sagen, ob und wie die Menschheit die Probleme lösen wird (….) Vielleicht kann es dazu beitragen, die Natur dieser Probleme und die Grundbedingungen für ihre Lösungen zu erkennen, aber nicht inwieweit diese Bedingungen bereits gegeben oder im Entstehen begriffen sind. Es kann vermitteln, wie wenig wir wissen und wie außerordentlich gering das Verständnis all der Männer und Frauen war, die die wichtigsten Entscheidungen dieses Jahrhunderts getroffen haben (….).“ Daher wäre es „töricht, dieses Buch mit Vorhersagen über die zukünftige Gestalt einer Landschaft zu beenden“ (719). Und genau deshalb sieht der Historiker sowohl Anzeichen für Zuversicht als auch Indizien, die besondere Aufmerksamkeit, intellektuelle Durchdringung und Courage erfordern, da die „Zukunft (….) keine Fortsetzung der Vergangenheit sein (kann); denn es gäbe „gleichsam innere Anzeichen dafür, daß wir am Punkt einer historischen Krise angelangt sind.“ Wer wollte Eric Hobsbawm darin widersprechen?
 
 Die Lektüre erfordert Interesse und Durchhaltevermögen. Interesse an globalen Entwicklungen und deren Deutungen seit 1914 und Durchhaltevermögen, weil das klein gedruckte Buch 720 Seiten Text (plus Anhang) hat. Es lohnt sich.

Hanspeter Reiter / Dr. Regina Mahlmann