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Der Gefrierpunkt des Blutes

Autor Antonio Manzini
Verlag rororo
ISBN 978-3-499-23490-3

„Rocco Schiavone ermittelt, Band 1“ ist der Start-Band von bis dato drei auf Deutsch erschienenen Krimis – und bereits verfilmt, als „Der Kommissar und die Alpen“, ein wenig angelehnt an „Der Kommissar und das Meer“.

Gut und böse
…ist dieser Charakter in gewissem Sinne in eins vereint: Mal à la Robin Hood, mal harter Hund. In jedem Fall mit starkem Sinn für Gerechtigkeit, wenn auch Recht individuell interpretierend – und immer im klischeehaft typischen italienischen Umfeld von Korruption, Seilschaft und familia: „Kalte Füße – schlechte Laune“ titelt der Rückseiten-Text arg treffend! „Jedenfalls macht dieser launische Kommissar Rocco Schiavone weniger gerne Dienst nach Vorschrift und nimmt es auch mit dem Gesetz eher weniger genau. Das hat zur Folge, dass er von Rom in die Provinz versetzt wird. Im verschneiten Aostatal bleibt ihm nichts, als Mordfälle zu lösen… Ein Alptraum für den römischen Kommissar. Erst, als auf der Skipiste eine Leiche gefunden wird, zermalmt von einer Schneeraupe, ist sein Ehrgeiz geweckt. Steckt eine Beziehungstat dahinter oder das organisierte Verbrechen? Doch Rocco hat nicht nur mit dem verschwiegenen Bergvolk zu kämpfen, sondern auch mit widrigen Wetterverhältnissen, die ihn zwingen, seine Lederslipper gegen unförmige Moonboots einzutauschen. Eine Zumutung, die sich nur mit jeder Menge Grappa ertragen lässt …“ Indirekt erschließen muss Leser, dass er seine geliebte Ehefrau offenbar vor vier Jahren verloren hat, wenn er auch in Gedanken immer wieder im Dialog mit ihr ist – die gibt es eingeschoben in der Ich-Perspektive, kursiv gedruckt. Das sei „verraten“ – ein Handlungs-Spoiler leitet sich daraus nicht ab!

Geschichten – kriminell und irgendwie auch spirituell
Jedenfalls begleitet Marina ihren Rocco im Zwiegespräch, gerade am Ende verwirrender oder besonders fordernder Tage, die 9 oder 10 waren, in seiner persönlichen Schreckens-Skala. (Dann gibt es auch noch seine ganz persönliche Verfassung, siehe dann in „Ein kalter Tag im Mai“ S. 262.) Auch dann, wenn er mal wieder amorösen Abenteuern frönt, mehr verzweifelt als interessiert, immer bewegt und bewegend, Kopf-Kino beim Leser erzeugend. Apropos Kino vielmehr Fernseh-Film: Den hatte ich zuerst gesehen – und war positiv überrascht nach der Lektüre des Buches! Da ist einmal die Transformation ins andere (bewegte Bild-)Medium bestens gelungen, siehe die Typen. Plus spiegelt die Handlung des Films tatsächlich jene des Buches: Ich meinte, sogar den einen oder anderen Dialog zu erinnern, trocken en point. Derartiges hatte ich vorher nur einmal wahrgenommen: Bei „Der Name der Rose“… Man freue sich auf die Folge-Bände, siehe „Die Kälte des Todes“ und „Alte Wunden“. Auch wieder mit gelungenem „atmosphärischem Ambiente“, wenn etwa beim Übersetzen italienische Begriffe wie „Agente“ beibehalten werden. Apropos, bei Commissario Brunetti von Donna Leon ist das ja „Sergente“ plus eben der Commissario, der offenbar nun auch Vice-Questore benannt werden müsste: Was stellt man dort dann mit Vice-Questore Patta an?! Wie (manche) Italiener sich „maskieren“, um fern ihrer Heimat-Region anzukommen, liest sich z.B. so: „Der neapolitanische Dialekt war eindeutig nicht angeboren, sondern nur eine folkloristische Maskerade für die Valdostaner.“ (Alte Wunden S. 44) Auch Roccos Macken lassen den Leser schon mal schmunzeln, vom morgendlichen Joint zum Fitwerden über seine konsequente Verweigerung, sich passendes Schuhwerk zuzulegen (zuletzt waren es bereits mehr als zehn Paare Clarks, die er verschlissen hat, binnen weniger Monate) – bis hin zu seinem zwanghaften Vergleich von Menschen-Gesichtern mit seiner Erinnerung eines Bestiariums aus seiner Kindheit: „Er war eine Sorex araneus, besser bekannt als Waldspitzmaus …“ (a.a.O. S. 120). Die dürfen bei anderen Figuren auch ins Spiel kommen, siehe den Staatsanwalt Baldi, der immer mit Lösungen für politische und gesellschaftliche Probleme dienen kann, wenig praxistauglichen allerdings (z.B. a.a.O. S. 142 zum Plastikmüll). Inzwischen ist der gute Vicequestore auf den Hund gekommen (und akzeptiert eine neue Wohnung nach dem Attentat auf sich erst, nachdem Lupa ihr Revier markiert hat) und spricht kurz vor Ende der Geschichte „Ein kalter Tag im Mai“ tatsächlich darüber, wie seine Frau zu Tode gekommen ist: Erneut versteht Leser ihn mehr und mehr… Auch in seiner Kritik gegenüber dem „Rechtsstaat“ Italien (etwa S. 154f.). Genug ist genug: selber lesen! HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter