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Der Kampf um die Wahrheit. Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten.

Autor Andreas Anton und Alan Schink
Verlag Komplett Media
ISBN 978-3-831-20584-4

Jene, die das Buch zur Hand nehmen und darin lesen, erwartet weniger eine wissenschaftliche als eine sachbuchmäßige Erörterung, eine teils grundsätzliche (Begriffsgeschichte und -verwendung Verschwörungstheorie), teils den Begriff in seiner Anwendung differenzierende, teils kritische Betrachtung von Mainstream-Medien und öffentlich-rechtlichen Institutionen in Deutschland, Europa, USA rund um das, was als Verschwörungstheorie, -ideologie, -mythos, -narrativ, -erzählung bezeichnet wird.

Unabhängig davon, ob man den sehr weichen Begriff der Theorie, dem die Autoren folgen, teilt, seien sowohl Anhängern als auch Kritikern zumindest die leicht lesbaren Ausführungen zu geschichtlichem Werdegang und Umwertung sowie zu wissenschaftlichen bzw. philosophischen Konzepten bzw. Theorien von Verschwörungstheorien zur Lektüre empfohlen. Bei aller Vereinfachung sind die Skizzen in Kapitel 1 und 2 insofern instruktiv, als man Einblick erhält in zumindest für eine versachlichte, nüchterne Behandlung von Hintergründen, historisch, sozial, mentalitätsgeschichtlich und semantisch/ sprachpragmatisch bezüglich der Bewertung und wertender Verwendung.

Man erfährt, dass und warum sowohl Vorstellungen, Theorien, Erzählungen etc. zu hidden agenden (Verschwörungsvermutungen) gleichsam menschheitsalt sind, ebenso so alt wie das Nachdenken über deren Funktion bzw. die Utilisierung von Verschwörungsannahmen.

Der Leser erfährt ferner, dass und inwiefern sich der Begriff einer einheitlichen, wissenschaftlichen, unideologischen und allgemeingültigen Bestimmung entzieht. Als Verschwörungstheoretiker sind im Sprachgebrauch keineswegs jene gemeint, die Theorien über Verschwörungen aufstellen (Metaebene), sondern jene, die inhaltsbezogen Thesen, Muster, Zusammenhänge bzw. andersartige, weniger allgemein gefällige Erklärungsansätze, -vermutungen formulieren, also jene, die von Erzählungen, Behauptungen, Annahmen etc. der breitenwirksam publizierten, anerkannten Meinungen abweichen. Es sind somit auch jene Personen und Gruppen, die nicht nur nicht akzeptiert werden als Debattenpartner, sondern ridikülisiert, kriminalisiert, dämonisiert.

Sehr hübsch, dass Karl Popper als ein von liberalen und sogenannten offenen Gesellschaftsverteidigern gepriesenen Philosophen im Historismus (Stichworte: hegelscher Weltgeist, Teleologie der Geschichte: Vorherbestimmung, Endziel, oft verkleidet als Dialektik), eine Verschwörungstheorie von Philosophen und Wissenschaftlern sah, als konträr zu seinem Konzept der „offenen Gesellschaft“, das die Legitimität alternativer Sicht-, Erklärungsweisen zuließ: im Rahmen kritischer Prüfung. Es war ein weiterer populärer Philosoph, der eintrat für Gleichwertigkeit und damit gleichwertige Diskutierbarkeit: Paul Feyerabend mit seinem kulturalistischen Konzept des „anything goes“.

Daneben umreißt das Autorentandem weitere, auch gegenläufige, wissenschaftliche Versuche, notwendige konstitutive Merkmale von Verschwörungstheorien anzugeben. Das Fazit mag unbefriedigend sein, erlaubt aber dies: dass man den Begriff so verstehen kann, dass er – wie die Autoren – nicht notwendig evidenz-, empiriefrei, faktenfrei ist, sondern – wie das Tandem ebenfalls zeigt – auch Wahrheiten produziert, zumindest Forschung, Recherche in Bezug auf Thesen, Muster, Erklärungsansätze, Hypothesen, die vordem als „spinnert“ bis „Demokratie gefährdend“ verhöhnt und zumindest in die Ecke von Rechtsradikalismus geschubst werden.
Die Erörterungen legen offen, dass der pejorativ gebrauchte Begriff vage ist und man Fragen stellen kann: Sind es Verschworene und handelt es sich um eine Verschwörung, wenn von einer „verschworene Gemeinschaft“ gesprochen wird? Gehört das vom amtierenden Justizminister favorisierte und propagierte Konzept vom „organischen Intellektuellen“ (Gramsci) in die Rubrik? Handelt es sich um eine Verschwörung bzw. Verschwörungen, um geheime Verabredungen, um geheime Lehrpläne, wenn sich selbst in sogenannten Qualitätsmedien, öffentlich-rechtlichen Institutionen, in Politik und Wirtschaft Narrative, Erzählungen, Dispositive durchsetzen, diese dem Bürger durch Formalia und Penetranz aufgezwungen, gegen die Mehrheit (und damit nicht mehr repräsentativ-demokratisch) hartnäckig durchgedrückt werden(z.B. Gendersprache, Postkolonialismus, Racial Theory-Varianten, Einseitigkeiten und Verleumdungen im Kontext von Themen) und faktisch nachweisbar in Cancel Culture münden, inklusiv Wissenschaft? (Neuestens etwa im Fall der Humboldt Universität, siehe z.B.: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/humboldt-uni-sagt-vortrag-ueber-geschlecht-und-gender-ab-18146161.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2: „Nacht der Wissenschaften“ : Humboldt-Uni distanziert sich von Vortrag zu Geschlecht und Gender Von Michael Hanfeld; https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/vortrag-von-marie-luise-vollbrecht-cancel-culture-an-der-humboldt-uni-18146758.html: Abgesagter Biologie-Vortrag : Cancel Culture an der Humboldt-Uni; Ein Kommentar von Thomas Thiel; https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/linke-aktivisten-verhindern-vortrag-ueber-gender-an-humboldt-uni-18147133.html#void: Cancel Culture an der Uni : Der Gesinnungsterror linker Aktivisten. Ein Kommentar von Philip Eppelsheim; oder was ist davon zu halten, wenn sich der offene, aggressive Antisemitismus auf der diesjährigen Documenta nicht nur hat zeigen können, sondern auch noch – neben klaren Verurteilungen – als Kulturrelativismus verharmlost wird, unter der Flagge Kunstfreiheit geduldet wird, sich zeigen lässt, dass etwa an Hochschulen antisemitische Parteinahme en vogue ist?
Die Autoren skizzieren auch offizielle, systematisch aufgezogene Verschwörungen seitens nationaler wie internationaler Politik bzw. politischer Organisationen/ Institutionen.
Wer bisher vertrauensselig war, wird nun zumindest skeptisch. Denn auch diese Ausführungen nähren die Begründung für Nachfragen und Misstrauen. Kann es beispielsweise sein, dass die Polarisierung, die zuweilen mit erschreckender Gehässigkeit und Verachtung betrieben wird, gefährlich für Demokratie und Zusammenhalt ist? Kann es sein, dass in gerade in dem bereits vor vielen Jahren erstmalig ausgerufenen Vorwurf „Lügenpresse“ ein empirisch nachweisbarer Kern steckt (was in Bezug auf Einseitigkeit der Berichterstattung und Meinungskolumnen nicht nur Bürger glauben, sondern auch Untersuchungen etwa zu Publikationen zur Flüchtlingswelle von 2015, zur Pandemie, zu gegenwärtigen Krisen und deren Bewertung nahelegen). Kann es also sein, dass das Behandeln von sogenannten Verschwörungstheorien als a priori indiskutabel gefährlich für demokratische Gesinnung und Zusammenhalt ist, zudem mit der Folge für Erkenntnis und politische Gestaltungsfähigkeit, insofern Erklärungsansätze, Deutungsvarianten von vornherein ausgeschlossen werden, mit entsprechenden Defiziten in Beforschung, Kontroversen, kultureller und politischer Praktik? Glaubwürdigkeit gewinnt man nicht durch apodiktisches Nein.
Für solche und ähnliche Fragen bietet das Buch zahlreiche Anlässe und Beispiele (populäre Ereignisse werden aufgegriffen und ausführlich dargestellt, offizielle und inoffizielle, akzeptierte und nicht akzeptierte, bedenkenswerte und skurrile). Es kommt nicht darauf an, ob man den Autoren inhaltlich und in all ihren Deutungen und Schlussfolgerungen folgt, sondern darauf, dass man beim Lesen Denkanstöße erhält, die den eigenen Horizont erweitern.

Das Buch ist insofern durchaus inspirierend, als es einen anderen Blick wagt: Die Autoren verdammen Verschwörungstheorien nicht als faktenfreie Annahmen und halten sie „nicht per se für falsch und gefährlich“ (Vorwort), sondern gestehen – im Verbund mit einigen anderen Politikwissenschaftlern – ihnen grundsätzlich insofern eine „positive Wirkung“ zu, als sie „auf bestimmte Probleme oder Ungereimtheiten aufmerksam machen“ und damit auf eine Lücke in der breitenwirksam geführten medialen Berichterstattung und Meinungsäußerung. Sie repräsentieren also grundsätzlich andere Sichtweisen oder – wie es heute heißt: Lesarten – in dieser Gesellschaft, und darunter auch ernst zu nehmende Auffassungen, wenn nicht inhaltlich, so doch in Bezug auf ihre soziale Präsenz. Und die hat Gründe. Der Zulauf alternativer Medienangebote zeugt unmissverständlich davon.

Der Leser lasse sich durch die leicht zugänglich, eingängig geschriebenen Überlegungen und die zuweilen spannend geschilderten Falldarstellungen mitnehmen von Andreas Anton und Alan Schink, deren Tätigkeitsorte und Engagement ganz gewiss eine besondere Affinität zu dem herstellen, was man heutzutage „alternativ“ nennt, hier: zu etablierten Sicht- und Wertungsweisen.

Regina Mahlmann