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Der Niedergang des Westens

Autor Niall Ferguson
Verlag Propyläen
ISBN 978-3-549-07442-8

„Wie Institutionen verfallen und Ökonomien sterben“ ist tatsächlich so etwas wie eine Bilanz der Gegenwart und das Einschätzen einer möglichen Zukunft, unter weitgehendem Verzicht auf Rückblicke vergangener Hochkulturen bzw. klassischer Zivilisationen: Der Autor identifiziert einen Verfall von vier Säulen, die er als den Sockel (tatsächlich vergangener) Weltherrschaft des Westens sieht: repräsentative Demokratie, freie Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Zivilgesellschaft. Dagegen stehen jene Symptome, die aus diesem Verfall resultieren, und die er eben den „Niedergang des Westens“ nennt: nachlassendes Wachstum, explodierende Staatsschulden, alternde Bevölkerung, auseinander brechende Sozialgefüge. Was zeigt, dass er eine durchaus traditionelle Perspektive einnimmt, betriebs-/volkswirtschaftlich wie auch soziologisch. So hangelt er sich von der Einleitung (u.a. mit „Jenseits der Schuldenkrise“) über den „menschlichen Bienenstock“ (u.a. „Partnerschaft zwischen den Generationen“), „die darwinistische Wirtschaft“ (u.a. „unintelligentes Design“), „die Landschaft des Rechts „ (u.a. „die Herrschaft der Anwälte“) und „zivile und unzivile Gesellschaften“ (u.a. „Privatisierung der Schulden“) hin zur Schlussbetrachtung (u.a. „die Zukunft der Städte“). Was also wird aus „dem Westen“, wenn nun sogar die aufstrebenden, die die Weltwirtschaft stützenden BRICS-Staaten durchaus darunter leiden, dass eben „der Westen“ weniger Nachfrage erzeugt und mehr Exporte zu erreichen sucht? (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika)? China fehle es an „glorreichen Institutionen“ (S. 38ff.), demnach „bleiben die chinesischen Marktreformen den Entscheidungen einer exklusiven und extraktiven Elite unterweorfen, die weiterhin über die Verteilung der Schlüsselressourcen entscheidet … Botswana scheint das Argument zu stützen, dass auch ein schwarzafrikanisches Land ein nachhaltiges Wachstum erreichen kann“, weil es nämlich Institutionen aufgebaut hat – und demnach dem alten Erfolgsmuster des Westens folgt. Und Strukturen zu haben, ist ein Erfolgsfaktor: „Allen komplexen Systemen in der Natur .. sind bestimmte Eigenschaften gemeinsam … Wie sich herausstellt, verhält es sich mit Finanzkrisen ganz ähnlich …“. Und das Rechtssystem? Entscheidend ist beim Übergang von privater Vertragsdurchsetzung auf staatliche Regulierung, „dass der Staat darauf verpflichtet wird, seine Zwangsmittel so einzusetzen, dass die privaten Eigentumsrechte gewahrt bleiben … Noch vor den Menschenrechten sind die Eigentumsrechte von grundlegender Bedeutung.“ (S. 100) Doch nun haben wir mit „Feinden des Rechtsstaats“ zu kämpfen (S. 111ff.): 1. Werden bürgerliche Freiheiten durch Anforderungen nationaler Sicherheit untergraben – im Sommer 2013 aktuell: NSA!, 2. Eindringen europäischen Rechts ins englische Rechtssystem, 3. Komplexität (und Schlampigkeit) des geschriebenen Rechts, 4. Steigende Kosten, vor allem in den USA. Hier zeigt sich durchgehend, dass der Autor die Entwicklung von Recht und Staat in England als die gelungene Basis für den Aufstieg des Westens identifiziert, der Benchmark sozusagen. Er sieht – ganz in der Tradition von Adam Smith, den er auch zitiert – die westlichen Länder im Stillstand, weil „Gesetze und Einrichtungen so weit degeneriert sind, dass Wirtschaft und Politik von elitärer Besitzstandwahrujng beherrscht werden.“  Ausufernde Staatsschulden, parasitäre Rechtsanwälte, verkümmernde Zivilgesellschaft führen zur „Großen Degeneration“ (S. 169f.). Er warnt, ohne Lösungswege anzudeuten. Doch in der Warnung liegen bereits die Ansätze: Wiedergewinnen von Handlungsfähigkeit in den vier Säulen … HPR

Hanspeter Reiter