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Der Strom des Bewusstseins

Autor Oliver Sacks
Verlag Rowohlt
ISBN 978-3-498-06434-1

„Über Kreativität und Gehirn“ untertitelt dieser nachgelassene Band, von Mitarbeitern fertig bearbeitet, die – namentlich benannt – auch das Vorwort verfasst haben. Mit einem Rundumschlag, für den Siri Hustvedt so zitiert wird: „Oliver Sacks beweist, dass die Medizin sowohl eine Kunst als auch eine Wissenschaft ist“. Voila!

Die Inhalt kurz (zusammen) gefasst
Statt der Fallgeschichten, für die er als Autor bestens bekannt ist, ja gar berühmt, findet Leser hier eine Art des Story-telling: Darwin und der Sinn der Blumen (ja, auch die bewegen sich etc.!) – Geschwindigkeit (besonders schnell – besonders langsam) – Empfindungsvermögen: Das geistige Leben von Pflanzen und Würmern – Der andere Weg: Freud als Neurologe (der er zuerst war, bevor er Psychiater wurde) – Die Fehlbarkeit des Gedächtnisses (mit vielerlei Bekanntem, durchaus neu beleuchtet…) – Hörfehler (auch seine eigenen) – Das schöpferische Selbst – Ein gestörtes Gemeingefühl – Der Strom des Bewusstseins (zugleich der Buchtitel!) – Blinde Flecken: Vergessen und Vernachlässigen in der Wissenschaft. Dabei geht es um Fragen wie „Hat ein Regenwurm Empfindungen? Wie viele Nervenzellen hat eine Qualle, und wozu dienen sie ihr? Was kann man aus der Beobachtung von Menschen lernen, die an Migräne leiden? Und was passiert in unserem Gehirn, wenn wir uns falsch erinnern?
Diese und viele andere Fragen behandelt Oliver Sacks in seinem neuen Buch. Der New Yorker Neurologe ist durch seine Fallgeschichten weltberühmt geworden. Voller Empathie und mit großer Fachkenntnis hat er immer wieder Menschen porträtiert, deren Leben durch eine schwere Krankheit oder Behinderung geprägt wurde – und hat seinen Lesern gezeigt, welche Chancen die Abweichungen vom sogenannten Normalen bieten und welche positiven Besonderheiten die betroffenen Menschen auszeichnen.“ Tatsächlich:

Ja, original Sacks
Denn „als er im Sommer 2015 starb, war gerade seine Autobiographie On the Move erschienen – und wurde weltweit zum Bestseller. Fast bis zum letzten Tag hat er noch an einem Band mit neuen Studien und Fallgeschichten gearbeitet, die von den kreativen Potentialen des menschlichen Gehirns zeugen. Wie entsteht Bewusstsein? Wie funktionieren Gedächtnis und Erinnerung? Dieser Band, den Oliver Sacks‘ engste Mitarbeiter nun druckfertig gemacht haben, liest sich wie eine Art Vermächtnis des großartigen Autors und Menschenkenners.“ Und ich habe eine Reihe von Eselsohren gemacht, ich gesteh´s, u.a. an diesen Stellen: Darwin war in erster Linie – Biologe, hat sich primär um Pflanzliches gekümmert und daraus viel gelernt – war neu für mich (S. 30ff.). Tourette-Syndrom erklärt anhand unterschiedlichen Geschwindigkeits-Erlebens, oha (S. 62f.) – Parkinson dito! Signal-Übertragung bei Zellen basiert auf elektrochemischen Verbindungen, was auch bei Pflanzen geht, weitgehend beruhend auf deren Calcium-Ionen-Kanälen (S. 78ff.), schau an! Mich als Linguist interessier(t)en natürlich diverse Hinweis auf Sprachverluste (wie Aphasie, S. 95ff.) und damit aufs Erkennen von verarbeitenden Hirn-Regionen. Und durchaus vertiefend alles rund ums Gedächtnis, etwa (S. 130): „Sobald eine Geschichte oder Erinnerung unter Mitwirkung lebhafter sensorischer Vorstellungsinhalte und starker Gefühle konstruiert wurde, gibt es weder eine innere, psychologische Möglichkeit, um echt von falsch zu unterscheiden, noch eine äußere, neurologische.“ Aha, false memory & Co.! Oder S. 137: „Wer Musik spielt oder hört…, analysiert nicht nur Klang und Rhythmus, sondern beteiligt an ihrer Verarbeitung auch das prozedurale Gedächtnis und die emotionalen Zentren des Gehirns“. Bis hin zur neuronalen Verarbeitung, „neuronalem Darwinismus“ inkl. (S. 184): Ein Füllhorn an interessanten, weiter führenden Informationen, auch hier unterhaltsam präsentiert. Lesen! Auch und gerade Weiterbildner jeglicher Couleur sollten sich den Band gönnen… HPR

Hanspeter Reiter