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die horen

Autor Kurt Morawietz, Johann P. Tammen, Stefan Moster
Verlag sonstige
Seiten 212 Seiten
ISBN 3865098053
Preis 12,50

Gerade zu dieser Ausgabe habe ich naturgemäß aufgrund meiner Affinität (! ? …) zu den Finnen gegriffen – es ist die 232. seit 1955, welch ein Durchhalte-Vermögen für eine Literatur-Zeitschrift! In aller Regel monothematisch aufgemacht, führt sie den Leser im Laufe eines Bezugsjahres durch vier Genres, Kulturen oder wie auch immer (erscheint 1x im Quartal). Hier seit 1984 erstmals wieder hinein in die finnische Seele, wie die einleitende Hinführung verrät, die ein Merkmal der „horen“ ist: „Finnland: Mythos und Realität“… Damals war noch nicht daran zu denken, dass Finnland je der EU angehören würde. Außerdem war damals die finnische Literatur nicht annähernd so stark auf dem deutschen Buchmarkt vertreten, wie es heute der Fall ist.“

Einige Zitate der aktuellen Ausgabe mögen dem Finnland-Laien erste Eindrücke verschaffen:

Die Wirkung von auditiven Erinnerungen – anwendbar in Trainings, siehe auch NLP-Anker: „… und hinter den Schlussworten des Redakteurs stieg ein trauriger Schlager auf. Plötzlich, ohne jede Vorwarnung, liefen mir Tränen aus den Augen … Ich legte den Kopf aufs Lenkrad und rief innerlich nach meinem Vater, den ich vor langer Zeit verloren hatte…“ (Danach ändert sich auch die Sprache, offenbar hin zum genuinen Dialekt der Autorin Rosa Liksom – eine besondere Herausforderung für den Übersetzer…, S. 36)

„Man stelle sich vor, auf der Welt gäbe es nur … elektronische Endgeräte. Dann würde jemand das Papier erfinden und kurz darauf entdecken, dass man auf Papier Wörter und Bilder drucken kann…“ Die umgekehrte Perspektive aktuellen Geschehens, in einer lesenswerten Erzählung ausgebreitet von Hannu Raittila (Gewicht und Gewichtlosigkeit, S.65f.)

Zur finnischen „Seele“: „Wenn ein deutscher Leser zu einem finnischen Roman greift, unterliegt er voraussichtlich zwei typischen Fehleinschätzungen. Er hält die Dialoge des Buchs für feindselig und seine Figuren für Alkoholiker … Aus finnischer Sicht stellt der finnische Roman einfach ganz normale Finnen dar.“ Hmm – die Einleitung zu einem ? Essay von Petri Tamminen (Ich kenne den Rausch, S. 82ff.)

Die begleitenden Abbildungen stammen von Juho Karjalainen und werden erläutert, verbunden mit einer Biografie des Malers: „Körper und Boot“ (S. 124ff., Stefan Moster, der auch die meisten Übersetzungen liefert). Der selbe Autor lieferte auch den Nachruf auf den Lyriker Paavo Haavikko, der viele Gedichte zu dieser „horen-„Ausgabe beitrug (Nach dem Schreiben, S. 188f.).

Kürzere und längere Erzählungen teils essayistischen Charakters wechseln sich ab mit Gedichten unterschiedlichster Themen, illustriert und erläutert. Wer die finnische Literatur gar nicht kennt, erhält erste Einblicke. Wer ihr nahe ist, findet Zugang zu neuen Autoren: Aufgabe und Ziel einer Literatur-Zeitschrift, wage ich zu behaupten. Interessant ist, dass sie inzwischen gelandet ist beim nm-Verlag, der sich „Wirtschaftsverlag“ nennt, mit dem Claim „Verlag für neue Wissenschaft“: Unterhaltsames und Weiterführendes auch für Trainer jedenfalls in den „horen“!

Auch deshalb, weil uns Finnland beeinflusst – unbemerkt subkulturell, siehe Musik (z.B. Jean Sibelius), Architektur (z.B. Alvar Aalto), Design (z.B. Kari Nieminen) – und Einwanderung: Eine Finnin war bis vor kurzem Geschäftsführerin des Presseclubs München, um nur ein Beispiel zu nennen … Wer sich speziell für Finnland interessiert, werfe einen Blick auf die Website der Deutsch-Finnischen Gesellschaft (DFG, www.deutsch-finnische-gesellschaft.de). Einzelhefte und Abo der „horen“ gibt es via www.die-horen.de

Hanspeter Reiter