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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Autor Haruka Murakami
Verlag DuMont Literatur
ISBN 978-3-8321-9748-3

Immer wieder kehrendes Motiv: Bahnhöfe – witziger Weise hatte ich wenige Tage vor der Lektüre einen Film über die Reise von Eisenbahn-Fans durch Finnland gesehen. Und der „Held“ des Romans findet in Finnland die Lösung seines Knotens … Passend dazu, dass ich in diesem Jahr 2014 mit zwei (Schul-)Freunden nach längerer Pause mal wieder eine Finnland-Reise machen werde. 40 Jahre nach jener ersten, die mich dazu bewogen hat, vom Studium der VWL wieder zur „alten Liebe“ Sprachen zurück zu kehren – und Finnougristik zu studieren … Selektive Wahrnehmung also? Mag sein, passend auch zu Klaviertasten, die eine Rolle spielen, via einem wieder kehrenden Klavierstück, das Tsukuru Tazaki an eine der Freundinnen aus der Schulzeit erinnert, in der damaligen 5er-Clique: Gerade am Vortag hatte ich in den TV-News einen Beitrag über Stufen einer U-Bahn-Station gesehen, die auf das Betreten (Begehen …) wie Klarviertasten tönend reagieren: Höchst unterhaltsam fürs reisende Publikum … Allerdings geht´s mehr ums Sehen denn ums Hören, vordergründig: Farben spielen eine Rolle, rund um die „farblose“ Hauptperson des Romans. Das ist eines von vielerlei Wort- und Gedankenspielen, im Japanischen wohl weniger erklärungsbedürftig als in der deutschen Übersetzung: die vier anderen im „Quintumvirat“ (von dem zwei weiblich sind) tragen eine Farb-Bezeichnung im Namen, er nicht, der sich wie eine leere Schachtel vorkommt. Andererseits ein „Macher“ ist, was auch sein Name ausdrückt. Vielerlei Alltags-Metaphern beherrschen  diesen Roman, was sich übrigens bis zum Schutzumschlag durchzieht, der selbst die farbigen, bunten Mitschüler zeigt, während der Einband-Titel farbfrei daher kommt und wohl Herrn Tazaki zeigt. Zum Tun gehört die Hand: 5 Finger wiederum passen optimal zusammen, wie zur Schulzeit die 5 Freunde. Entwickeln kann er sich erst, als er auf Reisen geht. Er, der vorher nie über seine Heimatstadt Nagoya und dann Tokio hinaus gekommen war, der doch (via Bahnhof .. Eisenbahn) eine Menge mit dem Reisen zu tun hat, eigentlich. Seine neue Freundin triezt ihn dazu, sich  endlich mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen. Zu klären, was seit 16 Jahren offen geblieben ist: Wieso wurde er von den anderen vier plötzlich ausgeschlossen, nachdem er – als einziger – den Absprung aus der provinziellen Heimatstadt gefunden hatte? Das klärt sich – und wirft für ihn neue Fragen auf: Was ist wahr, an Erinnerungen, an Träumen – was lebt er aus? Der Kontakt zu der einen von zwei Freundinnen von damals hilft beim Klären: Ihretwegen reist er nach Finnland, wo sie seit einigen Jahren mit (finnischem) Ehemann und zwei Kindern lebt, in der Nähe von Hämeenlinna. Plötzlich wird vieles klar, was seinerzeit unausgesprochen geblieben war … Ausgerechnet in Finnland, wo laut Klischee wenig gesprochen wird? Hmm, der Erfolg dieses Buches mag auch darauf beruhen, dass er so etwas ist wie ein moderner Bildungsroman. Einer in der japanischen Gesellschaft, uns fremd – und doch so nah? HPR

Hanspeter Reiter