Die Schweiz als Sonderfall
Autor | Paul Widmer |
Verlag | sonstige |
Seiten | 256 Seiten |
ISBN | 978-3-03823-368-8 |
Preis | 29,00 EUR |
Wer als Trainer und Berater im deutschsprachigen Raum unterwegs ist, wird auch Österreich und die Schweiz als Tätigkeitsfeld sehen. Gerade die (deutschsprachige) Schweiz erweist sich dabei als weniger einfach, das fängt bereits bei der Sprache an: Schwüzerdüütsch ist deutlich eine andere Sprache als Hochdeutsch; Deutschen gegenüber bestehen durchaus Vorbehalte. Mehr über Mentalität und Entwicklung von Mensch und Land zu wissen, wird helfen, so oder so. „Die Schweiz als Sonderfall“ meint durchaus das Verhältnis nach draußen, siehe Neutralität, siehe Nichtmitgliedschaft EU, siehe Währung. Wie bei diesen Themen gibt es jedoch auch im Innenverhältnis durchaus Diskussion und Meinungsvielfalt, die sich in vielerlei Abstimmungen niederschlägt.
Gerade bei der EURO 2008 mit Österreich und Schweiz als Gastgebern mag das neue Erlebnisse produzieren; Alex Capus (meist gelesener Schriftsteller der Schweiz) titelte in der SZ vom Silvester 2007 „Hilfe, Besuch kommt! Vor dem EM-Jahr 2008: Alle spotten über die Österreicher, dabei sind wir Schweizer mindestens genauso wunderlich“. Marktforscher entdecken „das Understatement der Milkies“ mit Schweiz-spezifischen Milieu-Definitionen, für die jedenfalls gilt: „Swissness ist Status!“: „Auch heute lesen die Schweizer, vor allem die Deutschschweizer, großen Wert darauf, nicht mit Deutschen verwechselt zu werden… Die Schweizer anerkennen somit problemlos, dass sie charakterlich den Deutschen am ähnlichsten sind. Fleiß, Zuverlässigkeit, Tüchtigkeit – das sind Tugenden, die wir an den Deutschen schätzen, aber auch uns selbst zugestehen. Schlägt diese Erkenntnis in Sympathie um? Weit gefehlt. Auf die Frage, welche Nachbarn man am sympathischsten finde, lagen die Italiener mit 32% an der Spitze, gefolgt von den Franzosen mit 26%, der Österreichern mit 22% und schließlich weit abgeschlagen den Deutschen mit 8%…“ (Seite 158). Hmm.
Von den vier Säulen des Sonderfalls, die der Autor definiert, entfällt die Mehrsprachigkeit weitest gehend, wenn Konzentration auf Deutschweiz angesagt ist; Neutralität, direkte Demokratie und Föderalismus spielen eine gewichtige Rolle. Sie wirken sich etwa in Aufenthaltsberechtigungen oder Wohnrechten aus; wer mit viel Geld kommt, scheint bevorteilt. Doch das ist „nur“ die eine Seite der Tätigkeit: Auch um Inhalte geht es, etwa bei Fragen der Kommunikation und Konfliktklärung: Das Schiedsgericht ist eine uralt eingeführte Instanz, nachgewiesen seit 1481: „Die Friedensschlichtung setzt Mehrheitsverfahren Schranken. Sie berücksichtigt auch andere Gesichtspunkte, verfährt oft nach dem Prinzip der Billigkeit, also nach einem, wie Kant es definierte, „Recht ohne Zwang“. Ein demokratisches Gemeinwesen muss auch den Anliegen der Schwächeren oder der Minderheiten entgegen kommen…“ (Seite 46).
Interessant auch der Blick auf das Thema Bildung (Seite 207ff.): „Unser Ausbildungssystem muss auf qualitative, nicht auf quantitative Ziele ausgerichtet sein… Den Erfolg der Schweizer Wirtschaft verdanken wir vornehmlich dem mittleren Kader, jenen Berufsleuten aus Industrie und Dienstleistungssektor, die über ein hohes Arbeitsethos verfügen, eine ausgeprägte Leistungsbereitschaft zeigen und ihr berufliches Können durch Weiterbildung aus eigenem Ansporn vervollkommnen.“ Dafür gibt es Kurse auch an Universitäten, doch sind auch die Unternehmen bereit, die Bereitschaft zur Weiterbildung der Angestellten zu stützen. Hier lohnt es sich zum Beispiel, die NZZ (Neue Züricher Zeitung) zu abonnieren, was auch tageweise möglich ist (Freitag, Samstag, siehe www.nzz.ch). Das hier besprochene Buch ist sozusagen ein „Ableger“ des Verlags.