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Die Sinngesellschaft

Autor Bolz, Norbert
Verlag Kadmos Berlin
ISBN 978 3 86599 114 0

Im Vorwort zur Neuauflage des 1997 erstmalig erschienenen Buches  formuliert der Soziologe Norbert Bolz eine Zusammenfassung seiner Gedanken, die einen Vorgeschmack auf Tonalität (lakonisch, ironisch, sarkastisch – und das heißt immer auch: zutiefst engagiert) und auf den theoretischen roten Faden geben (Funktionalismus im Geist Niklas Luhmanns – und dies heißt, kombiniert mit einem scharfen Kennerblick auf Moderne, Nachkriegsrevoluzzer, Postmoderne: intellektuelle Nüchternheit und Differenzierung).

 

Dass das Buch knapp 15 Jahre alt ist, merkt der Leser lediglich an der einen oder anderen Prognose, die inzwischen eingetreten ist oder an Beispielen, die fehlen, die der Autor aber – wenn er sie hätte bringen können – auch gebracht hätte.

 

Die Grundfiguren des Denkens sind ebenso wenig gealtert wie die Frage: die keineswegs diejenige nach Sinn ist, sondern nach dem Sinn von Sinn und danach, wann und unter welchen Bedingungen und damit in welcher Funktion Sinn erfragt, erzeugt, verändert wird. Die Dimension der Beobachtung 2., gar 3. Ordnung, zieht der Autor durch – und es ist die heute ungewöhnliche Dichte von Feldwissen, wachem Intellekt mit – auch wenn Norbert Bolz hier vermutlich grimassieren wird – kulturkritischem Impetus (der seinerseits Anpassung bzw. durch das Re-Entry in der Gesellschaft flackert und nicht außerhalb derselben) und einer nichtfestlegbaren Parteilichkeit, jedenfalls, wenn der Leser in herkömmlichen Schemata, etwa von progressiv und konservativ sucht. Dort wird er nicht fündig; denn – siehe oben – Norbert Bolz folgt selbst da, wo man ihn parteilich liest (etwa in seinen messerscharfen Analysen und Bewertungen der 68er-Szene und Epigonen oder in seinen Angeboten von funktionalen Aquivalenten zu Religion als Sinnerzeugungsquelle), stets dem funktionalistischen Paradigma.

 

Wer Freude an – zuweilen durchaus mit sich selbst flirtenden – pointierten, ironischen oder schlicht gedanklich präzisen Formulierungen hat, der wird eine köstliche Lektüre genießen können. Wem (zudem) essayistische Provokation ein intellektuelles Vergnügen ist, sollte ebenfalls zugreifen. Es spielt keine Rolle, ob der Leser jeder These, jeder Vermutung, jeder Analyse oder Bewertung sein Jawort gibt.

 

Worauf es ankommt, ist, die Paarung von Denkart und wertender Offenheit mitzugehen – um sich im präzisen und ungewöhnlichen Denken zu üben oder daran erinnert zu werden, wie das gehen kann und nicht zuletzt, um die Frage nach Sinn nicht nur als Metafrage und funktionalistisch zu stellen, sondern auch Ideen für Antworten auf nicht-, aber quasireligiöse Sinnquellen zu finden. Der Kandidat von Norbert Bolz: Design. Und damit prognostizierte er 1997 etwas, das in den letzten Jahren des dritten Jahrtausends Furore macht: Design-Thinking allüberall, auch in zunächst vermeintlich fern liegenden Subsystemen wie Wirtschaft: Design ist nicht nur eine Frage der Werbung und des Marketing, sondern inzwischen auch von Unternehmensführung, Management – und: Weiterbildung.

 

Gönnen Sie sich dieses intellektuelle Lesevergnügen! Von seinem Kaliber gibt es immer weniger.

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

 

Dr. Regina Mahlmann