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Die Sparsholt-Affäre

Autor Alan Hollinghurst
Verlag Blessing
ISBN 978-3-896-67626-9

Alan Hollinghurst, (Jg 1954), ehemaliger Literaturkritiker für das Times Literary Supplement und Träger diverser Preise für seine schriftstellerische Arbeit, zeichnet auch in seinem neuen Roman präzise (Kunst-, Mäzen-) Milieustudien mit fein skizzierten Charakteren, deren Begehren gleichsam die Energie und Macht der Freudschen Libido als Lebensenergie im Vordergrund steht. Die Sparsholt-Affäre dehnt sich über drei Generationen hinweg und wird über fünf Kapitel entwickelt.
Sie beginnt im Oxford der 1940er Jahre und endet im London 2012. Die erste Erzählepoche („Ein neuer Mann“) wird von einer der Hauptfiguren in Ich-Form erzählt. Freddie Green und seine Freunde, unter ihnen Evert Dax, der Sohn eines berühmten Schriftstellervaters, sehen David Sparsholt durch ein dunkles Fenster und verfallen dessen gleichsam griechischer Schönheit. Zunächst nur Eert Dax, später auch Freddie Green. Inhaltlich liest sich dieser Teil fast wie ein Internatsroman, doch das literarische, sprachliche und gedankliche Aufbereiten der homosexuellen Sehnsüchte, unbeholfenen Erfüllungshoffnungen und -versuchen von Heranwachsenden und zumal in den Jahren vor der Legalisierung lenkt von diesem inhaltlichen Dejà-vu ab und macht für die Besonderheiten von Darstellung und Inhalt empfänglich.
David Sparsholt teilt die poetischen und literaturlastigen Eigenheiten der Freunde um Green und Dax nicht, sondern studiert Ingenieurwissenschaften und betrachtet seinen Oxford-Aufenthalt eher als Zwischenstadium auf dem Weg zum Militär (er wird Kampfpilot werden) und erfolgreichem Ingenieur (er wird ……). Scheint das Muster „schön, unpoetisch, eher dumb“ fast festzustehen, versteht es Hollinghurst, vorzugsweise durch Andeutungen, die Mehrschichtigkeit zumindest Davids Sexualität zu entwickeln. Der spätere Vater eines Sohnes, Jonathan, gerufen: Jonny, wird diesem Sohn eine Last auferlegen durch die mit ihm oder gar durch ihn erzeugte Sparsholt-Affäre.
Das zweite Kapitel („Die Aussicht“) spielt in den 1960er Jahren. Inzwischen hat David seine militärische Karriere als dekorierter Kampfpilot hinter sich, ist mit seiner damaligen Freundin Connie verheiratet und Vater von Jonathan, den der Leser in seinen jungen Jahren im Rahmen eines Familienlebens ebenso kennenlernt wie sein Begehren, in diesem Fall bezogen auf den Austauschschüler Bastien aus Frankreich. Davids Gefühlsleben wiederum scheint insbesondere in der Gesellschaft seines – ebenfalls verheirateten – Freundes Clifford aufzuleben.
Die dritte Epoche mit dem Titel „Kleine Ölbilder“ springt in die 1970er, in denen der erwachsene homosexuelle Jonathan, inzwischen Portraitmaler und Bildrestaurator, auf David Green, Evert Dax und einen „Erinnerungsclub“ treffen wird, in der die Sparsholt-Affäre, die Jahr vor der Legalisierung der Homosexualität Presse und Gemüter erhitzte, auftaucht. Parallel dazu werden Ausformungen von Begehren und folglich amoröse Begegnungen auch hier geschildert.
Die vierte Epoche, „Verluste“, und die fünfte, „Trost“, stehen im Zeichen des älteren und alternden Jonathan, der – durch eine Samenspende an ein lesbisches Paar – Vater einer Tochter wird und in dessen Leben die Sparsholt-Affäre allmählich verdunstet. Er lebt im Milieu der Bohemiens, lebt seine nun nicht mehr kriminalisierte Homosexualität aus und wird schlussendlich Schwiegervater – in der Hoffnung, neben seiner neuen Flamme sitzen zu können. Das Begehren ist allgegenwärtig und überzeitlich, zunächst vor allem im Verborgenen und – dank juristischer und gesellschaftlicher Veränderungen, in die die fünf Epochen eingeordnet werden – auch im Offenen. www.dialogprofi.de www.gabal.de

Regina Mahlmann