Die Wasserfälle von Slunj
Autor | Heimito von Doderer |
Verlag | C.H.Beck |
ISBN | 978 3 406 694837 |
…. plus Doderer, Heimito von: Die Merowinger. C.H. Beck, München 2008, isbn 978 3 406 39894 0
Wer „Die Strudlhofstiege“ und/ oder „Die Dämonen“ (beide bei C.H. Beck) gelesen hat, findet in den zwei Romanen zwar durchaus Doderer-Spezifisches in Sprachmächtigkeit und ideellem Schöpferreichtum, bestaunt indes zugleich einen Doderer als Autor, der nach der Lektüre seiner Hauptwerke zumindest nicht unmittelbar nahezuliegen scheint.
„Die Wasserfälle von Slunj“ sind der erste Satz des unvollendeten „Roman No 7“, der in vier Sätzen nach dem Vorbild einer Symphonie entworfen werden sollte; den zweiten Satz, „Der Grenzwald“, konnte Heimito von Doderer noch schreiben.
Der Autor macht es den Leser von „Die Wasserfälle von Slunj“ insofern leicht, als er einen Roman entwirft, dessen Personal (gemessen an den zwei Hauptwerken) sehr übersichtlich ist und dessen inhaltliche Handlung, der Plot, für aufmerksame Leser bald vorhersehbar ist. Dennoch bleibt die Spannung erhalten, weil dem Autor neben seiner phantasievollen Sprache mit ihren Wortschöpfungen, humorvollen, ironischen, wohlwollenden Metaphern, der Zusammengehörigkeit von Örtlichkeit, Topographie einer- und inner- und zwischenmenschlichen Erlebnissen und Geschehnissen andererseits überraschende Wendungen gelingen.
In Klappentexten wird vorzugsweise auf die brüderliche Vater-Sohn-Beziehung abgestellt, ein Tandem mit zwar gutem Funktionieren nach Außen, mit nahezu kontradiktorischen Charakteren im Innern, und diese Verschiedenheit legt den Keim für die spezielle Entwicklung von Beziehung und persönlichen Perspektiven und die Kerngeschichte.
Um diese Figuren und deren Er- und Lebenswelten oszillieren andere Personen und Typen, Lebensläufe und Ereignisse. Einigen muss die Notwendigkeit, zur Vater-Sohn-Geschichte unmittelbar zugehören, attestiert werden; andere bedienen Vorlieben Doderers für Figuren und deren Menschwerdung (die in der Regel eine Bildungsgeschichte ist).
Wie für Heimito von Doderer charakteristisch, bezieht er als allwissender Erzähler den Leser ab und zu mit ein, indem er von „wir“ und „uns“ bzw. den Leser anspricht, und begründet in seiner Funktion als Erzähler durchaus, warum er welche Figuren laufen und welche Geschichte enden lässt. Im gesamten Roman genießt der Leser die Doderer-Sprache, wenn auch deutlich einfacher, schlichter und einfühlsamer oder gutmütiger als in den zwei Hauptwerken.
Von dieser Art Sprache kann in „Die Merowinger oder die Totalität der Familie“ keinesfalls die Rede sein. Die Sprache brilliert in Differenziertheit und epischen Beschreibungen, in Ironie, Sarkasmus (auch via Analogie zur damaligen Gegenwart, die mit der heutigen erstaunlich viel Übereinstimmung aufweist) und Wortkreationen. Die Sprache beschreibt allerdings dermaßen viel Gewalt, dass man beim Lesen unwillkürlich entsetzt das Buch beiseitelegt, oder – mit dem sogenannten schwarzen Humor gesegnet – auflacht.
„Die Merowinger“ ist ein Roman, in dem sich – darin sind sich Autor und Kritiker einig – Heimito von Doderer sozusagen ausgelebt hat: eine spezielle Seite, nämlich des Cholerikers, Wüterichs und Mann des festen Tritts, sowie des Autors mit abseitig scheinendem, originellem bis anstößigem Einfallsreichtum. Kurioses, Deftiges, Schöpferisches in Satzbau und sprachlicher Vielfalt vereinigen sich mit der literarisch verpackten Funktion von persönlichen Bildungsinhalten, Überzeugungen, biographischen Eigenheiten des Autors, von Ironie und Komik, von Stellungnahme zu und Kritik an vergangenen bzw. damals gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Usancen; dieses Mal verengt auf das Schwarz-Humorige.
„Die Merowinger“ ist ein Buch, in dem sich der Autor die Freiheit des Narren genommen hat. Dafür steht bereits die Geschichte, in der Childerich III, dem letzten Merowinger im 20. Jahrhundert, sich durch Heiratspolitik und Adoptionsstrategien zum Zentrum und zur Einheit sämtlich möglicher familiärer Beziehungen macht und somit seine Vision von der Totalität der Familie und deren Inkarnation verfolgt – auch wenn er schlussendlich angreifbar wird. Der Sippe von Bartenbruch ist offenkundig eine gewalttätige Natur einprogrammiert, die die besagten Schilderungen, feinkörnig und daher gut vorstellbar, bedingen.
Den Hauptstrang um Childerich III umschließt eine weitere Handlungsebene mit weiteren Hauptpersonen (u.a. Schriftsteller Dr. Döblinger, Psychiater Dr. Horn), die mit der Childerich-Geschichte verwoben sind. Dr. Horn kümmert sich nämlich in verblüffender Weise um Menschen wie von Bartenbruch oder Bachmeyer, die – vermeintlich vorzugsweise aufgrund permanenter Frustrationen im Amt oder durch Bürokratie – Aggressionen in einem Maße anstauen, dass sich dies vor allem in der Art, zu gehen, dem Winkel der Füße und Festigkeit und Rhythmus des Stampfens äußern.
Wie bei Doderer üblich, versammelt er verschiedene Personen, Figuren, Typen und Episoden, Phasen, Lebensläufe, die sich im Verlauf der Erzählung berühren, kreuzen, ineinander verhaken. Nur dass es hier fast ausschließlich „Bösewichte“ gibt – und ein überraschendes Ende, ob logisch plausibel oder nicht.
Wer Kluges und Weiterführendes, nähere Informationen zur Verflochtenheit von Persönlichkeit, Biographie, gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen der Autor agierte, erfahren möchte; wer ferner über Stilmittel und Architekturen, über Resonanz in Kritik und Öffentlichkeit sowie über Beziehungen Doderers Bücher zum Film Erhellendes lesen möchte, der greife zu dem lehrreichen und dank der flüssigen Sprache, die direkt, differenziert und einfallsreich daherkommt, amüsant zu lesenden Buch von Klaus Nüchtern: Kontinent Doderer (C.H. Beck 2016). Klaus Nüchtern widmet sich u.a. den beiden hier rezensierten Werken im Rahmen seiner vertieften Behandlung der Werke „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“ auf den Seiten 211ff (Die grosse Wut des Doctor D.) und 259ff (Die fatale Vertikale“).
Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de