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DIGITAL IST BESSER

Autor Kai-Hinrich Renner, Tim Renner
Verlag sonstige
Seiten 246 Seiten
ISBN 978-3-593-39208-0
Preis 22,00

Die Brüder Kai-Hinrich und Tim Renner, der eine Medienjournalist, der andere Professor an der Popakademie Baden-Württemberg, zeichnen in einer biographisierenden Weise in drei Kapiteln die für Medienunternehmen interessanten Herausforderungen nach, die die Digitalisierung von Informationen mit sich bringt.

Nicht die Erkenntnisse sind es, die das informative Buch vom Mainstream der Literatur zu diesem Themenkreis abheben. Denn Neues werden informierte Leser nicht finden. Sondern zwei Perspektiven machen es lesenswert. Die eine ist die biographische. Aus einem bürgerlichen und bildungskulturellen Elternhaus mit Büchern und entsprechend „traditionellen“ Werten und Normen kommend, schildern die Brüder, wie ihr Werdegang, begleitet von Popkultur der 1970er und 1980er Jahre, sie zu Anhängern der Digitalisierung machte. Die zweite Perspektive ist damit benannt: Popkultur. Explizit analogisieren sie Digitalisierung und Popkultur, und Teil 1 des Buches ist denn auch als evolutives Geschehen skizziert: „Die Digitalisierung ist die Fortsetzung der Popkultur mit anderen Mitteln“.

In den drei Kapiteln „Evolution“, „Revolution“ und „Konklusion“ nähren sie ihre leitende These: „Digital ist besser“ – der Name eines Albums der Gruppe Tocotronic von 1995 (S. 234). Der Titel formuliert einen unvollständigen Vergleich. Es bleibt offen, in Bezug auf was digital besser ist. Die Antwort findet sich in den Ausführungen, vor allem im Kapitel 2 „Revolution“.

Die Autoren sprechen wie viele andere auch von einem Paradigmenwechsel und von einem Kulturbruch. Gegenüber stehen sich Bildungsbürgertum mit u.a. den Attributen „analog“, „print“ und entsprechenden Werten (z.B. Wertschätzung von Autorenschaft) sowie Normen (z.B: Differenz zwischen Autor oder Urheber und Leser oder Rezipient, Produzent und Konsument) und damit gekoppelten Geschäftsmodellen in der Medienwelt von Film, TV, Musik, Text sowie Po—bzw. Digitalkultur mit den Attributen digital (Vielfalt, Konvergenz) und entsprechenden Werten (Freiheit, Transparenz) und Normen (z.B: Verschmelzung Produzent und Konsument zu Prosument, Aufhebung von Grenzlinien via Partizipation und Gestaltung) und entsprechenden Geschäftsmodellen (z.B. Erweiterung von Printprodukten um Social Media oder Web 2.0-Funktionen, Download-Praxis von Musik). Thematisch werden für die Medienbranche typische Fragestellungen aufgegriffen. Neben den erwähnten auch Geschäftsmodelle, Journalismus, Identität und Social Media.

„Digital ist besser“ als – tja, als print? als bildungsbürgerliche Werte und Traditionen? als analog geprägte Lebensphilosophie oder –ideologie? Der Leser kann unterschiedliche Antworten hinein- oder herauslesen. Denn neben dem Hinweis, die „Ökobilanz“ sei besser als die in der analogen (Papier-) Welt, laden die Ausführungen ein, sich selber Gedanken dazu zu machen, was die Autoren als „ohne Alternative“ sehen: die Digitalisierung (S. 235). Zwar streifen die Brüder die eine oder andere heikle Entwicklung (z.B. Paradigmenwechsel und psychologische Wirkungen, Datensicherheit, Missbrauch) und bekennen, digital sei nicht „per se“ besser (S. 235), aber die Begeisterung für diese Entwicklung übertüncht doch grundlegende Fragestellungen bzw. – anders gewendet – provoziert zu Kontroversen anhand von Thesen wie „Zukunft gestaltet, wer bereit ist, auf Kontrolle und Deutungshoheit zu verzichten“, dem Titel des dritten Teils, „Konklusion“.

Die Ausführungen bleiben – popkulturell konsequent – an der Oberfläche, und jene, die sich zu ihrem Konservatismus in intellektuellen Werten bekennen, mögen das Buch als nette Lektüre beiseite legen oder es – zum Beispiel als Lehrkräfte – zum Ausgangspunkt nehmen, um sowohl die Analogie zu Popkultur als auch die gesellschaftskritischen Anmerkungen, die sich zaghaft finden lassen, mit kulturkritischem Vorzeichen zu vertiefen. Schließlich geht es um genau das: unser zukünftiges Zusammenleben, in dem – in spezifischen Kontexten und bezüglich grundlegender Fragestellungen von Moderne und Postmoderne – sowohl gilt: „Digital ist besser“ als auch „Analog ist besser“.

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

Dr. Regina Mahlmann