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Ego

Autor Frank Schirrmacher
Verlag Blessing
ISBN 978 3 89667 427 2

Der Titel des Buches spiegelt die Schlüsselworte für die Hauptthesen: In der gegenwärtigen digitalisierten Welt dreht sich alles nur um das Ego-istische/zentrische – dank spieltheoretischer Ökonomisierung auch der Lebenswelt, bis hinein in die feinsten Kapillaren der Identitätsfindung und Lebensführung.

 

Nun hat der internationale bekannte Autor, Mitherausgeber der FAZ etc., von zahlreichen Rezensenten und in zahlreichen Medien bereits Kritisches bis Höhnisches zu lesen bekommen: Unzulässige, intellektuell unseriöse Vereinfachung des Komplexen, v.a.: monokausale Zuschreibung, gar verschwörungstheoretische Erklärung allen Übels mit Rekurs auf Spiel- und Rational-Choice-Theorie, die zur Inkarnation des Modells des Homo oeconomicus` geführt haben; eher nachlässige (wenn auch mit Literaturhinweisen beredte) Argumentation, die zudem zuviel wolle, einen zu großen Bogen schlage, Heterogenes unzulässigerweise kombiniere; wesentliche Aspekte seien anderswo besser, fundierter, reflektierter ausgearbeitet (Der Autor führt einige Grundlagen allerdings im Literaturverzeichnis auf, etwa Sherry Turkle, Jaron Larnier; andere vermisse ich, wie Martha Nussbaum, und an dem neuesten Bildung-Buch von Roland Murgerauer hätte Frank Schirrmacher vermutlich Freude. Sie alle dürften den Alarmismus eher begrüßen als verächtlich abtun). Ergänzen könnte man die passagenweise eher assoziative als stringente Gedankenführung, Wiederholungen von (offenbar) Lieblingsformulierungen und die zuweilen hysterisch anmutende Pointierung.

 

Und dennoch: Die meisten Rezensionen verharren auf der inhaltlichen Ebene, der Beobachtung 1. Ordnung. Da kann man – wie stets – unterschiedlicher Auffassung sein und –andere, auch zusätzliche Erklärungs- und Beschreibungsansätze nutzen. Besonders im Kreuzfeuer steht die eine monokausale und eindeutige Zuschreibung vornehmende „Erzählung“. Aber genau das beansprucht Frank Schirrmacher ja: eine „Erzählung“ zu schreiben, essayistisch zuweilen, feuilletonistisch ebenfalls und offenkundig mutig genug, entgegen dem verbreiteten Idiom vom postmodernen Abschied der Großen Erzählung (Lyotard) eben diese wagen. Und warum auch nicht –zum Aufrütteln eignet sie sich offenkundig, hoffentlich auch zum intellektuellen Diskurs; zudem ist das Apodiktische durchaus geistig erfrischend im Brei politischer, kultureller, moralischer Korrektness und dem Schwarm an Affirmation bezüglich der inzwischen nicht mehr so neuen Technologien und ihrer Nutzung.

 

Außerdem: Wenn man die Ausführungen auf der 2. und 3., jedenfalls auf einer den Inhalt verlassenden Meta-Ebene liest und sich um im wörtlichen Sinn grundlegende Aspekte kümmert, ist das Buch der Lektüre auch deshalb wert, weil es nicht nur einen Einblick in kritische Positionen gibt (seien diese auch bis zu über 100 Jahre alt und bei Philosophen und Soziologen geistreich ausgeführt zu finden), sondern auch, weil es die Frage nach untergründigen Logiken, Paradigmen, Ideologien, nach hidden agenden sowohl des Autors als auch der kritisierten Entwicklungen ermöglicht. Diese Lesart findet zahlreiche hübsche Formulierungen, oft in Nebensätzen, die zur Kontroverse geradezu einladen.

 

Das Echo zum Buch verdankt sich gewiss zu einem beachtlichen Anteil der Bekanntheit des Autors – ein Bonus, der nichts mit den Ausführungen und viel mit der Kultur unter Journalisten zu tun hat. Eine Große Erzählung im philosophischen Sinn ist es nicht geworden, aber eine Erzählung, die geeignet ist, Fragen, die andere bereits seit Jahren stellen, populär zu machen und auch jene aufzuwecken, die bis dato den Entwicklungen mindestens gleichgültig gegenüber stehen oder einfach folgen.

Dr. Regina Mahlmann