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Ein sterbender Mann

Autor Martin Walser
Verlag Rowohlt
ISBN 978-3-498-07388-6

Ein sehr poetischer Roman. Poetisch im Sinne von „etwas anderer Prosa“: Gemischt aus „Briefen“, Erzählung, Dialogen, zwischen denen der Autor springt, und mit ihm naturgemäß LeserIn. Um so ihn zu begleiten, den „sterbenden Mann“, der zugleich ein strebender Mann ist, dieses Wortspiel sei erlaubt. Strebend nach spätem Lebensglück, das ihm irgendwie zwischen den Fingern davon geronnen scheint – um nun doch noch aufzukreuzen?! Die Story in Kurzform: „Theo Schadt, 72, Firmenchef und auch als „Nebenherschreiber“ erfolgreich, wird verraten. Verraten ausgerechnet von dem Menschen, der ihn nie hätte verraten dürfen: Carlos Kroll, seinem engsten und einzigen Freund seit 19 Jahren, einem Dichter. Beruflich ruiniert, sitzt Theo Schadt jetzt an der Kasse des Tangoladens seiner Ehefrau, in der Schellingstraße in München. Und weil er glaubt, er könne nicht mehr leben, wenn das, was ihm passiert ist, menschenmöglich ist, hat er sich in einem Online-Suizid-Forum angemeldet. Da schreibt man hin, was einem geschehen ist, und kriegt von Menschen Antwort, die Ähnliches erfahren haben. Das gemeinsame Thema: der Freitod. Eines Tages, er wieder an der Kasse, löst eine Kundin bei ihm eine Lichtexplosion aus. Seine Ehefrau glaubt, es sei ein Schlaganfall, aber es waren die Augen dieser Kundin, ihr Blick. Sobald er seine Augen schließt, starrt er in eine Lichtflut, darin sie. Ihre Adresse ist in der Kartei, also schreibt er ihr – jede E-Mail der Hauch einer Weiterlebensillusion. Und nach achtunddreißig Ehejahren zieht er zu Hause aus. Sitte, Anstand, Moral, das gilt ihm nun nichts mehr. Doch dann muss er erfahren, dass sie mit dem, der ihn verraten hat, in einer offenen Beziehung lebt. Ist sein Leben “eine verlorene, nicht zu gewinnende Partie“?“ Das Leben selbst bestimmt führen und auch so beenden? Auch darum geht es, jedenfalls … Oder mit den Worten des Verlags: „Martin Walsers neuer Roman über das Altsein, die Liebe und den Verrat ist beeindruckend gegenwärtig, funkelnd von sprachlicher Schönheit und überwältigend durch seine beispiellose emotionale Kraft.“ Auch sehr poetisch, und „dennoch“: treffend. HPR

Hanspeter Reiter