Einführung in den sozialen Konstruktionismus
Autor | Kenneth J. Gergen und Mary Gergen |
Verlag | sonstige |
Seiten | 118 Seiten |
ISBN | 978-3-89670-681-2 |
Preis | 12,95 |
Während der Begriff des individuellen und sozialen Konstruktivismus in aller Berater-Munde zirkuliert, ist der des sozialen Konstruktionismus weniger bekannt. Das Autorenpaar grenzt sich zum letzt genannten Theoriegebäude insofern ab, als es betont: Konstruktivistische Annäherungen gehen davon aus, der Ursprung von Wirklichkeitserzeugung sei der individuelle Geist. Demgegenüber unterstreichen sie, der soziale Konstruktionismus fokussiere die Wirklichkeitserzeugung aus den Beziehungen zwischen Individuen, insbesondere via Sprache, die ein soziales Phänomen sei.
Sowohl feinfühlig als auch differenziert im Gedankengang heben die Autoren das relationale Moment hervor und deklinieren unterschiedliche Alltagsbereiche, Forschungsansätze, therapeutische Modelle und Anschauungen daraufhin durch.
Im Zentrum steht die Frage, welchen Unterschied es macht, wenn wir davon ausgehen, dass unsere Wirklichkeit immer eine sozial, in Beziehungen hergestellte ist, im Gegensatz zu der Auffassung, diese sei individuell geschaffen (konstruiert).
Ihr Plädoyer für eine sozial-konstruktionistische Weltsicht, die zu der Grundannahme prinzipieller Relationalität und Relativität führt, legitimiert das Paar vor allem mit diesem Hinweis: Wenn wir von der grundsätzlichen Beziehungsqualität ausgehen, dann kann etwas, das wir betrachten und beurteilen, immer auch ganz anders „sein“: als anders erscheinen, insofern der Betrachtung und Beurteilung eine andere Perspektive mit all ihren Implikationen der Deutung zu Grunde liegt. Nehmen wir dies ernst – und sei es nur in der Logik des Als-Ob – , dann eröffnen wir mehr Chancen des Verstehens, als wir uns verschließen. Die Folge dieser Herangehensweise wiederum erzeugt nicht nur eine buntere Wirklichkeit, sondern erweist ihre Stärke gerade im Konfliktfall. Denn die Überzeugung, die eigene Sicht ist nur eine von weiteren möglichen, generiert eine mentale Offenheit, die auf Verstehen im Sinn des Nachvollziehenkönnens zielt und insofern die Bereitschaft wachsen lässt, sich auf das Andere einzulassen und nach Optionen zu suchen, um nach Möglichkeit allen Sichtweisen gerecht zu werden. Das kann auch heißen, Unterschiede zu akzeptieren und zu respektieren und darin überein zu kommen, keinen inhaltlichen Konsens zu finden – und sich genau damit zu arrangieren. Insofern leistet der soziale Konstruktionismus einen Beitrag zu einem Miteinander, das Unterschiede, gar Unvereinbarkeiten zulässt und mindert, in großem Maßstab gedacht, die Wahrscheinlichkeit scharfer, heißer Konflikte.
Jenen Lesern, denen das Denken in konstruktivistischen Kategorien vertraut ist, bietet das Buch zwar keine wesentlichen Neuigkeiten; und manche Passagen lösen den Impuls zu Kontroverse aus. Dennoch ist es der Lektüre wert. Zum einen, um den theoretischen Unterschied zum sozialen Konstruktionismus zu erkennen, und zum anderen, um im eigenen Nachdenken und praktischen Arbeiten sich bewusst zu machen, wann man davon ausgeht, das Individuum sei zuständig dafür, eine schwierige Situation umzudeuten (Reframing) – und entsprechend interveniert bzw. wann es sinnvoll ist, in systemischer Weise auf die Beziehungen zu schauen. Dies in zweierlei Hinsicht: Erstens insofern, als jede Äußerung, jede Interpretation, jede individuelle Wirklichkeit stets schon sozial vermittelt ist: durch Sprache, Rituale, Routinen etc.. Zweitens insofern, als diese sozial und kulturell vermittelte Wirklichkeit noch einmal in sozial und kulturell hergestellten Kontexten thematisch wird. Diese beiden Dimensionen der Vermitteltheit stellen den Einzelnen in seiner gesellschaftlich und kulturell geformten oder geprägten Identität in den Vordergrund, in seiner sozial-kulturellen Wesenheit, und bezieht zusätzlich ein, dass in der je aktuellen Situation unterschiedliche soziale und kulturelle Identitäten interagieren. Das Feld der Betrachtung weitet sich – und mit ihnen grundsätzlich die Möglichkeit, insbesondere in konfliktuellen Situationen das Repertoire des Handelns zu weiten. Und dies, so heben Beratende immer wieder hervor, sei eine ihrer essentiellen Funktionen.