Evolutionäre Organisationstheorie
Autor | Werner Kirsch, David Seidl, Dominik van Aaken |
Verlag | sonstige |
Seiten | 164 Seiten |
ISBN | 3791029770 |
Preis | 49,95 |
Das Buch wendet sich primär an Wissenschaftler und Studierende im fortgeschrittenen Stadium des Studiums. Denen sei die Lektüre dringend empfohlen, weil das Autorentrio unter einem durchaus populären Schlagwort „Evolutionäre Organisationstheorie“ eine interdisziplinäre Forschungs- und Theorierichtung thematisiert, die angesichts wachsender Komplexität, zunehmender Unsteuerbarkeit und abnehmender Illusion von Planbarkeit von Zukünftigem einen Beitrag dazu leisten könnte, das praktische Wirtschaften (und Politikmachen) nicht nur um Einsicht zu bereichern, sondern methodisch und bezüglich der Grundhaltung auf neue Füße zu stellen. Der Beitrag liest sich dann als Appell zu einem veränderten Denken und könnte zu einer veränderten Haltung und folglich zu einer angemesseneren Praxis führen, als es derzeit der Fall ist.
Der zweite Grund der Empfehlung liegt darin, dass das Buch als ein erster Entwurf, als Anregung für theoretischen Diskurs dienen kann, an dem in der Tat Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen teilnehmen sollten. Vor allem Wirtschaftswissenschaftler aus den Bereichen der verhaltenswissenschaftlichen Teil- oder Nebendisziplinen, Biologen und Soziologen, Psychologen und Philosophen (Erkenntnistheorie, Sozialphilosophie, Politische Philosophie, Ethik).
Die „Einführende Charakterisierung der evolutionären Organisationstheorie“ verheißt gerade mit den Anmerkungen zur Beziehung von Evolution und offener Zukunft, dass die Autoren, die behaupten, neues Land zu betreten, sich genau dem widmen: der „Thematisierung der „Offenheit der Zukunft“ in Kategorien der „scharfen“ Offenheit, nämlich im Sinn von „Unvorstellbarkeit“. Doch erst im Schlusskapitel, „Ausblick“, werden, wenn nicht neue, so doch ungewöhnliche, seit den 90er Jahren in Vergessenheit geratene kognitive Konzepte wie das des Rhizoms zur Sprache gebracht. So bleibt das Versprechen, das Titel und Einführung dem außerordentlich interessierten Leser in Aussicht stellen, eigentümlich hohl, nur rudimentär eingelöst. Das liegt zum einen an der Brüchigkeit des gedanklichen roten Fadens (passagenweise wirken die Ausführungen eher assoziativ und stichwortartig, wie Formulierungen im Prozess des Denkens) und zum anderen daran, dass – so lehrreich Erörterungen, so einsichtig zahlreiche Beispiele auch sind – eine Art Korsett den Horizont des Denkens einzuschnüren scheint.
Zwar tauchen für den Kontext und die Zielrichtung relevante Begriffe und Konzepte auf, so etwa Komplexität, Sinn/Sinnmodelle, Rationalitätstypen, Entwicklung/Evolution. Gleichzeitig habe ich für eine theoretische Grundlegung unverzichtbare Begriffsklärung vermisst, besonders für den der Evolution; denn es gibt unterschiedliche Konzepte, die sich mit diesem Begriff verbinden und daher unterschiedliche Denkfiguren mit ihren Folgen für das Weiterdenken und ihren Konsequenzen für den Stellenwert von sozusagen Untertermini wie etwa Vielfalt, Mutation, Kontingenz, Selektion, Emergenz. Irritierend zur Erwartung des Lesers der Einführung verhalten sich Aufbau- und Aspektschwerpunkt: Handlungstheorie und Rationalitätskonzepte – primär und sehr eng, kaum kritisch reflektiert die Konzeptionen von Jürgen Habermas. Gestreift werden neben phänomenologischen („Lebenswelt“) auch linguistische Konzepte – leider eben nur gestreift; denn wenn der Akzent schon auf Menschen, auf Denken und Handeln in Lebenswelten, und als Bedingung der Möglichkeit dieser Variante einer evolutionär gefassten Organisationstheorie in den Vordergrund gerückt werden, dann wäre eine vertiefte Auseinandersetzung mit oben genannten Grundlagen und eine Ausweitung und Inkludierung kulturphilosophischer bzw. kulturwissenschaftlicher Theorie und Forschung bereichernd und weiterführend. Beispielsweise das mit dem Denken in Termini des Rhizoms eng verwobene Konzept der transversalen Vernunft und Kultur von Wolfgang Welsch.
Hier ist nicht der Ort einer vertieften Kommentierung, geschweige denn, Kontroverse. Deshalb kurz und bündig: Wissenschaftlich Interessierten und Theoretikern, die sich um Möglichkeiten und Optionen, Zukünftiges politisch, wirtschaftlich, kulturell, sozial lenken oder kanalisieren zu können oder können zu wollen, Gedanken machen möchten, sei das Buch empfohlen als ein Sprungbrett hinauf oder hinab oder zur Seite – jedenfalls in gedankliche Sphären, Disziplinen, Grundlagentheorien und empirische Forschung, in fruchtbare Kontroversen innerhalb einer interdisziplinär zusammengesetzten Gemeinschaft.
Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de
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