Flüchtiges Begehren

„Commissario Brunettis dreißigster Fall“ – ein Jubiläum also … Und mit einem Titel, der den Lesern recht bald verklart wird – doch wäre das ein Spoiler …

Venedig – La Serenissima
Die allerdurchlauchteste Republik des Heiligen Markus als Staatstitel spiegelt sich wohl nurmehr via Markus-Platz, der immer wieder überflutet ist, wenn acqua alta die Lagunenstadt heimsucht. Das tut ausnahmsweise mal der Tod erst später: „Samstagabend auf dem Campo Santa Margherita. Nach einem Drink lassen sich zwei Touristinnen von ein paar Einheimischen zu einer Spritztour in die Lagune verführen. In der Dunkelheit rammt das Boot einen Pfahl, und die Amerikanerinnen enden bewusstlos auf dem Steg des Ospedale. Warum alarmierten ihre Begleiter nicht die Notaufnahme, wenn alles nur ein Unfall war? Je hartnäckiger Brunetti ermittelt, desto näher kommt er einem Monstrum, vor dem sich selbst die Mafia fürchtet.“ Wie gewohnt, sind eine Menge Beziehungen im Spiel, seien es professionelle (Venezianer und Neapolitaner etwa, siehe S. 127ff. usw.) oder private (Familie Brunetti et al) – oder schlicht Seilschaften, alte Freunde aus Schulzeiten und deren Anhang (siehe S. 170f. et al.), die durchaus auch im positiven Sinne dienlich sind, wenn es ums Aufklären dieses seltsamen Falles geht…

Leser fühle sich zuhause
Denn das gilt auch fürs Personal (in der Questura, vom Vice-Questore über die Commissarii hin zum Sergente) wie auch in der Familie, mit üblichen Diskussionen Kids-Eltern. Und „natürlich“ ist die Italien-weite Korruption Dauer-Thema, etwa Augen zwinkernd das private Nutzen von Dienst-Fahrzeugen (jenen mit vier Rädern, in Venedig irrelevant – doch was ist mit Booten?). Selbst die (trotz scheinbarer Verbannung im Sommer 2021) nach wie vor allgegenwärtigen Kreuzfahrtschiffe nimmt die Autorin in den Blick (s. 273) und schafft so wahre Aktualität. Wie auch bedauerlicher Weise mit dem üblen Kern des Geschehens, wie sich zeigt … Wow, auch mit diesem „runden“ Fall beweist Donna Leon dauerhaft exzellentes Schreibenkönnen – mehr als 300 Seiten Spannung pur, und die unterhaltsam und „dennoch“ mit fröhlichen Untertönen zu lesen. HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter