Frau Komachi empfiehlt ein Buch
Autor | Michiko Aoyama |
Verlag | Kindler |
ISBN | 978-3463000404 |
Dass die Autorin, ehemalige Reporterin und Zeitungsredakteurin, mit dem Roman, der sich in fünf voneinander unabhängigen Erzählungen gliedert, deren Vorzeichen und Klammer identisch sind, auf breite Resonanz nicht nur in Japan stieß, lässt sich nachvollziehen.
Denn die Frage, die allen Geschichten als Schlüssel dient, lautet immer gleich: Die Bibliothekarin in einer Gemeindebibliothek in Tokio, Frau Komachi, fragt jene, die nach einem Buch fragen, jedes Mal: „Was suchen Sie?“. Diese Frage ist ein Schlüssel insofern, als sie verschlossene Türen im Denken und Fühlen der Protagonisten aufschließt. Durch die unverschlossene und – so sich die Personen darauf einlassen – geöffnete Tür eröffnen sie sich verändertes Denken, Fühlen und Handeln, ungeahnte und ungewagte Schritte hin zu mehr Zufriedenheit und glücklichen Erlebnissen, zu bewusst geänderter Bahnung im Privaten wie im Beruflichen.
Freilich müssen die Personen eine grundsätzliche Neugier oder Offenheit mitbringen, zuweilen hat es den Anschein, dass das Vertrauen in die Autorität der Bibliothekarin genügt, um deren stets abseitig wirkende Buchempfehlung, die ein jeder erhält, anzunehmen. Ist diese Grundvoraussetzung erfüllt, lesen sie das empfohlene Buch und werden durch unerwartete Inspirationen belebt, in deren Folge persönliche und berufliche Laufbahnen eine neue Richtung nehmen. Nie im Sinn des „Entweder-Oder“, sondern im Modus des „Sowohl-Als-auch“ oder „ganz anders als bisher“. Betont wird bei berufstätigen Protagonisten der Modus der Paralleltätigkeit. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass man seinen Tätigkeitstraum (etwa einen Antiquitätenladen zu eröffnen) parallel zum beruflichen Tun (Geld verdienen) angeht und nicht linear.
Frau Komachis Empfehlungen werden, zusammen mit einem aus Filz von ihr gestrickten Gegenstand, meist einer Figur, als „Zugabe“ zum Buch, stets mit Staunen, auch mit Zweifel, empfangen. Doch Frau Komachi blickt offenbar tief in das Innere der jeweiligen Person und hat stets das „Mondauge“ und das „Sonnenauge“ im Blick, Rationalität und Gefühl; denn beides wird benötigt, um die von den Empfängern der Empfehlung als belastend erlebte Situation gemäß der persönlichen Not zu lindern oder aufzulösen. Die Bücher werden von den Lesern als Gleichnis von Alltags- und anderen Problemen, die sie plagen, begriffen und deshalb ernst genommen.
Die Protagonisten sind Frauen sowie Männer unterschiedlichen Alters (von Mitte zwanzig bis zum Rentenalter) und gehören der Mittelschicht an. Sie leben insofern komfortabel, als sie Selbstzweifel und Unzufriedenheit nicht nur zulassen und erkennen, sich erlauben können, sondern zudem in einer Lebensposition sind, um den Wünschen nachzugehen, durchaus befördert durch andere Menschen, durch Zufälle (wenn es denn welche sind) und Gelegenheiten, die beim Schopfe ergriffen werden.
An Attraktivität gewinnt dieses Geschichtenbuch gewiss nicht nur durch die schlichte und gleichzeitig melodiöse Sprache, sondern ferner inhaltlich, nämlich dadurch, dass einfache Lebensweisheiten in den Büchern und in den Dialogen formuliert werden, die Protagonisten wie Lesern tiefsinnig scheinen, emotional berühren und ins leichte Philosophieren führen, mit Bezug auf die eigene Person, auf Selbstkonzept, auf Lebens- und Arbeitsweise, auf die Färbung der Wahrnehmung der Welt.
Die Empfänger der Buchempfehlungen müssen sich öffnen für die ungewöhnlichen Empfehlungen – und dann hat Veränderungsbereitschaft eine Chance. Dazu Frau Komachi: „Tatsächlich weiß ich ja nichts von meinen Besuchern, weshalb ich zunächst auch nichts von Bedeutung anbieten kann. Jeder findet seinen eigenen Sinn in der „Zugabe“. Das Gleiche gilt für die Bücher. Der Leser assoziiert das Geschriebene mit seinem eigenen Leben und zeiht etwas sehr Persönliches aus der Lektüre, das vielleicht gar nichts mit der ursprünglichen Absicht des Autors zu tun hat.“ (S. 280