Geist!
Autor | Holger Rust |
Verlag | sonstige |
Seiten | 204 Seiten |
ISBN | 3834903280 |
Preis | 24,90 EUR |
Der Titel macht jene neugierig, die das gern tun, wofür der Autor engagiert plädiert: Denken; vorzugsweise in Form des Reflektierens mit anderen Denkenden und mit Anders-Denkenden gemeinsam. Diese sozial zu inszenierende Denkarbeit erscheint als Wert an sich, wird sodann auf Organisationen und deren Mitglieder bezogen. Im Speziellen wirbt der Autor für ein Denken in der Form des kritischen Beleuchtens von Geschäftsmodellen, Ankündigen und Versprechen jener, die sich wissenschaftliche (betont werden neurowissenschaftliche) Befunde interessegeleitet und daher einseitig zu eigen machen und in die Form verkaufsträchtiger Angebote gießen. Dagegen zieht Holger Rust beredt und polemisch zu Felde, mehr oder weniger unterfüttert mit Studien, Verweisen auf theoretische Konzepte aus Wirtschafts-, Sozial- und Neurowissenschaften sowie eigenen Erfahrungen aus dem Kreis seiner Studierenden, Arbeit als Berater und dem Belauschen von Gesprächen während Zugfahrten.
Auch wenn die Ausführungen zuweilen spontan-assoziativ und wenig fundiert wirken, Zitate allzu ausführlich geraten bzw. aneinander gereiht werden, Wiederholungen der Hauptbotschaften den kritischen Leser ab und zu ungeduldig werden lassen – erfrischend und bedenkenswert sind sie allemal.
Holger Rust stellt die Frage: „Wie kann es gelingen, dass man mit der sich stetig verändernden Welt besser zurechtkommt?“ (11). Diese Frage wird zwar allgemein formuliert, schwerpunktmäßig indes auf das soziale System Wirtschaft bzw. Unternehmen bezogen. Zur Beantwortung bedient sich der Autor einer „pragmatischen Metapher“: Geist als „Kommunikation, die sich zwischen den individuellen Geistern entfaltet“ (14); Geist als „eine pragmatische Metapher für die intellektuelle Wertschöpfung im Unternehmen“ (131), als Resultat der „Vernetzung der sozial unterschiedlichen Areale …unterschiedlicher Hirnregionen“ (ebd.), als Ergebnis eines Lernens „durch die Verarbeitung der Impulse unterschiedlicher Partner in einem Kommunikationsprozess“ (149).
Der Autor stellt – in der Analogie zur Funktionsweise des Gehirns – immer wieder heraus, dass es darauf ankomme, der begrenzten, nutzwertorientierten „sektoralen Intelligenz“ (dem „Strukturprinzip in Management und Marketing“) Geist als etwas entgegenzustellen, dessen Prinzip in der sowohl generischen und sich vernetzenden Vielfalt als auch der Kommunikation von Unterschiedlichem liegt. Gemeint sind interdisziplinäre und mehr-perspektivische Zugänge zu einem Phänomen, das Heraustreten aus dem eigenen Milieu, etwa dem der Karrieristen, und der wenig fundierten Praxis des Best Practice in Unternehmen zu Gunsten individueller, unternehmensspezifischer Praktiken. Der Autor fordert den Mut zu Abweichung, zum Heraustreten aus den geschützten Inseln (der Business-Mileus), aus mentaler Inzucht, zu intellektueller Vielfalt und deren Vernetzung zu einem „Unternehmensgeist“, um den Blick zu weiten und grundlegend Möglichkeiten zu eröffnen, der Komplexität der Wirklichkeit kompetenter als bisher zu begegnen.
Inwiefern das Plädoyer für „das einzig tragfähige Managementkonzept, das für alle verbindlich sein könnte“, einem totalitären, sektoral-intelligenten Anspruch erliegt, der gerade unter den Prämissen, Thesen und „Schluss“-Folgerungen der Ausführungen zu verabschieden wäre, sei dahin gestellt. Ebenso die erkenntnistheoretisch kritische Frage, ob der Autor in seinem Engagement gegen einen begrenzten Denkduktus seinerseits einer Metaerzählung (J.-F. Lyotard) anheim fällt, dem Glauben an die kontextfreie Überlegenheit natur-, neuro-, zuweilen auch sozialwissenschaftlicher Rationalität. Zu diskutieren wäre außerdem, ob der Ansatz und seine empirischen Evidenzverweise (auch Holger Rust beruft sich auf die Autorität von Fallstudien) sich qualitativ von Prinzip, Struktur und Modus der beklagten sektoralen Intelligenz unterscheiden.
Doch diese und andere akademischen Nachfragen seien beiseite und dafür die Utopie des Autors in den Vordergrund gestellt: „Das große Projekt des Geistes im Unternehmen… kann langfristig wirken, Motivation erzeugen und Kompetenzen sichtbar machen…. Diese geistige Arbeit beginnt mit der ersten kleinen Frage…: „Wie sehen Sie das?““
Dem Buch hätte ein sorgfältigeres Lektorat gut getan, und irritierend ist, dass trotz der zahlreichen Bezüge auf Literatur und Zitate weder die Quellen vollständig benannt sind noch ein Literaturverzeichnis dem Leser Aufschluss über deren Herkunft gibt. Das ist insbesondere für Lesende bedauerlich, die zu dem motiviert sind, was im Einklang mit der Hauptbotschaft steht: überprüfen, kritisch reflektieren und weiter spinnen.
Ich wünsche diesem Buch trotz mancher kritischen oder nörgelnden Anmerkung Leser mit wachem Geist.
Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de
drmahlmann@aol.com