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Gemeinsam sind wir blöd?

Autor Fritz B. Simon
Verlag carl-auer
ISBN 978 3 89670 436 8

Das Buch erschien 2004 erstmalig, nach dem Platzen der New Economy Blase. Dass es unverändert in der vierten Auflage erscheint, mag erstaunen. Allerdings ist Fritz B. Simon ein sehr aktiver Autor, der in den Folgejahren lehrreiche Einführungen und Abhandlungen zu Organisationen, Wirtschaft, Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen, Konfliktgeschehen und –behandlung aus systemtheoretischer Perspektive vor allem Luhmannscher Prägung geschrieben hat. Außerdem kann der Leser durchaus erhellende Parallelen zur Finanz-, Wirtschafts- bis hin zu sozialen Krisen ab 2007 ziehen. Inwieweit das Kapitel, das Märkte und psychische Störungen (Depression, Bipolare Störung) analogisiert, das Verstehen fördert und vor allem angemessen ist, sei dahin gestellt. Der Autor thematisiert, wenn auch kurz, indes durchaus die Grenzen der noch immer äußerst beliebten, weil (scheinbar) Komplexität reduzierenden und Personalisierung/ personale Zuschreibung ermöglichenden Analogisierung.

In dem Buch, das im Titel nach der Blödheit, im Text mehr nach Gründen für Intelligenz in der Führung von Organisationen/ Unternehmen fragt, ist das systemtheoretische Vokabular und auch die spätere begriffliche, kategoriale Striktheit und Differenziertheit systemtheoretischer Betrachtung weniger ausgeprägt bzw. auf ein Minimum reduziert.

Das weckt den einen und anderen Einspruch, erleichtert jedoch den Zugang insbesondere für jene Leser, die erst beginnen, sich mit systemtheoretischer Logik zu befassen. Sie profitieren zudem von Gedankenexperimenten, intelligentem Witz, Beispielen aus der damaligen Unternehmenswelt, der (heute mag man sich wundern) ausgiebigen Widmung Jack Welchs als herausragendem Change Manager und der ausgeprägten (häufig mit konstruktivistischem Vorzeichen metareflektierten) Metaphorik.

Der Leser findet neben einigen Schlüsselbegriffen aus der Systemtheorie (Außen-, Innen- oder System/Umwelt-Differenz, evolutionäre Logik, Selbstorganisation, lose und feste Kopplung, Beobachtung) selbstredend Ausführungen zu zentralen Konzepten von Organisations- bzw. Unternehmensführung: Führung von Unternehmen und Personen (Mitarbeiter, psychische Systeme als Umwelten von Unternehmen), Team und Gruppe, Change Management (Persönlichkeit, Kulturchange, „Rezeptbuch“ für Veränderungen sowie mögliches Einbinden der damals bereits populären Großgruppen-Veranstaltungen wie Open Space (trotz des beklagten Theoriedefizits). Das kurze Abschlusskapitel liest sich als Pathos pro Systemtheorie, bleibt abstrakt bzw. im Hypothesenmodus, trotz der vorgängigen Ausführungen, die das Pathos nachvollziehbar machen. Es grenzt traditionelles, dem natur-, technikwissenschaftlichen Verständnis von Management und Beratung von der systemtheoretischen Perspektive ab – und damit zusammenhängend von der praktischen Intervention. Der Fokus systemtheoretischer Betrachtung gilt den Kommunikationen, den Prozessen und nicht den Akteuren, und intelligente Führung versteht sich als „Organisatin der Selbstorganisation“, als Nutzung der „Mechanismen der Selbstorganisation sozialer Systeme“, um „zielgerichtete Lösungen zu produzieren.“ (323f)

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

Regina Mahlmann