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Gewaltkette

Autor Anita Nair
Verlag ariadne
ISBN 978-3-867-544226-5

„Südindiens Babylon“ benennt der Rücktitel das Geschehen – und lokalisiert es zugleich. Und einen erschreckenden, geradezu verstörenden Einblick liefert die Autorin in Gesellschaft und ! Wirtschaft Indiens. Das in Zeiten wieder kehrender Medien-Berichte über Bestechungs-Skandale auch deutscher Unternehmen auch in Indien (plus Bangladesh, siehe: Kleidung …). So gesehen, eine Dokufiktion, dennoch als Thriller angelegt.

Die üble Geschichte, kurz gefasst
Tiefe Einblicke also gewährt „Gewaltkette“. Der Titel verweist schon darauf, dass strikt organisiert und strukturiert ein System besteht, das die Betroffenen komplett chancenlos lässt. Und das passiert: „Inspector Gowda, Mordermittler in Indiens drittgrößter Stadt Bangalore, soll die vermisste Tochter seiner Haushaltshilfe suchen. Zugleich verlangt ein komplizierter Mordfall seine ganze Aufmerksamkeit: In einer gut bewachten Gated Community wurde ein reicher Anwalt erschlagen. Beide Aufgaben sind ihm wichtig, für beide braucht er reichlich Vitamin B. Inspector Gowda hadert täglich mit seiner Ohnmacht im Großen und seiner Inkonsequenz im Kleinen – wie dem Umstand, dass er ­seine Ehefrau betrügt, seiner Geliebten nicht gerecht wird, seinem Sohn entfremdet ist. Aber wenn es ums Ermitteln geht, macht Borei Gowda keinerlei Kompromisse …“ Und scheint schließlich das Unmögliche möglich zu machen: Statt nur die Handlanger zu verhaften, die Hintermänner zur Rechenschaft zu ziehen. Das jedenfalls lässt der Schluss hoffen, soviel auch offen bleibt.

Leider alles wahr…
…denn „für »Gewaltkette« recherchierte Anita Nair zwei Jahre lang und arbeitete bei der Sozialarbeits-NGO BOSCO mit, was zu den härtesten Erfahrungen ihres Lebens beitrug. Nair packt mit ausgefuchsten Genre-Mitteln und starker, eindringlicher Prosa ein schreckliches Thema an – Kinder als Ware.“ So verstörend das Geschehen ist: „Trotz tiefster Empathie bleibt ihre Schilderung konkreter Gewalt stets zurückhaltend, frei von Voyeurismus und Pathos. Das ist große Literatur, sinnlich und düster, ganz dicht am realen Leben, voll erzählerischer Wucht: Verwoben mit der Ermittlung rücken faszinierende Handlungsstränge ins Bild, Facetten einer hochmodernen, aber kolonial tradierten, auf ethnischen und Kastenvorurteilen aufgebauten Gesellschaft mit krassen Hierarchien, zutiefst patriarchalen Normen und blühendem Raubtierkapitalismus: das urbane Indien heute.“ Und im Kasten-Denken wie –Leben verhaftet, wenn der Präsident heute (derzeit) auch Modi heißt, aus der untersten Kaste der „Unberührbaren“ … HPR

Hanspeter Reiter