Gezeiten des Geistes
Autor | David Gelernter |
Verlag | ullstein |
ISBN | 978-3-550-08049-4 |
David Gelernter, Professor für Computer Science an der Yale University, widerspricht der Metapher vom Computer als Gehirn und legt dar, warum und inwiefern es keinen künstlichen Geist und kein künstliches Bewusstsein geben kann. Seine Ausführungen rekurrieren auf vor allem tiefenpsychologischen Modellen (insbesondere Sigmund Freuds) und philosophischen Überlegungen, die er Werken von Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger und der Phänomenologie Edmund Husserls entnimmt. Anstatt wissenschaftliche Ausführungen zu machen, die den psychologischen und neurowissenschaftlichen State oft the Art resümieren und dies argumentativ in Anschlag zu bringen, modelliert er die Anregungen zu seinem Konzept des „Spektrums“ und erfreut den Leser mit Zitaten aus der Literatur. Mit ihnen illustriert er seine Auffassungen und argumentiert dafür, dass der menschliche Geist, das menschliche Bewusstsein und beide in Verbindung mit dem Körper mehr sind und können, als es Computern und neuronalen Netzen jemals möglich sein wird. Das Modell des Spektrums erinnert in seinen drei Ebenen oder Dimensionen an jenes von Freud, wenn auch die semantische Besetzung sich von Freuds Modell unterscheidet und neuere Erkenntnisse der Gedächtnispsychologie und –physiologie einspeist. In einer metaphernreichen Sprache und in humanistischem Geist führt David Gelernte den Leser ein in den ständigen Fluss, die wechselseitige Befruchtung, die phasenweise Dominanz von selbstständigen Erinnerungen (unbewusstes Gedächtnis, wie es sich in etwa im Schlaf und in Träumen zeigt), von Gedächtnisgebrauch mit gelegentlichen Abschweifungen (wie z.B. in Tagträumen) und der Dominanz des Denkens, das gezielt von Gedächtnisinhalten Gebrauch macht. Das Unbewusste und Bewusste, das Denken, Erinnern, Fühlen, Handeln und „einfach sein“, in der Vergangenheit, der Gegenwart, in der Zukunft sind die Parameter, um die sich die Erörterungen, Zitate, biographischen Episodenerzählungen drehen. Bei alldem spielen Körperzustände eine Rolle und entscheiden mit darüber, wie sich eine Person in welcher Ebene befindet. David Gelernter versucht sich auch daran, das Spektrum-Modell (er nennt es „Theorie“) fruchtbar zu machen für die Entwicklung eines Menschen, sowohl vom Kind zum Erwachsenen als auch zurück und probt damit die Anwendung „auf die Welt als Ganzes“ (297). Immer geht es darum, die permanente Dynamik des Geistes fruchtbar zu machen für verschiedene Lebenslagen und –weisen. Es geht nicht darum, dem Autor in allem affirmativ zu folgen. Worum es geht, ist, mit ihm zu staunen, zu beobachten, Narratives und Poetisches zu übersetzen auf das, wie sich geistiges Leben im Menschsein darstellt und dass es keinesfalls reduzierbar ist auf künstliche Codes und Algorithmen.