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Goethes Leichen

Autor Paul Kohl
Verlag emons
ISBN 978-3-954-51716-9

Goethe und seine Leichen werden in das politische Treiben eingereiht, und man erfährt mehr darüber, inwiefern der Geheimrat in die brutale Zwangsrekrutierung von Soldaten und das Unterdrücken der Rebellen verwickelt sein könnte oder ist. Diese dunkle Seite Goethes schreiten zwei Hauptfiguren aus. Der Archivar Kestner und sein Assistenz Lorenz werden von Hannover nach Weimar geschickt, um eine bestimmte Handschrift mit Blumenmotiven, das Original, aufzutreiben. Das wird ihnen nicht gelingen. Dafür sorgt mindestens Mephistopheles. Etwa in der Mitte des Romans taucht er des nachts im schmierigen Hotelzimmer von Kestner auf und verwickelt diesen rechtschaffenen und an traditionelle Werte wie Gerechtigkeit, Originalität (von Schriften u. dgl.) und Korrektheit glaubenden Ehemann von Lotte (aus Goethes Werther) in einen Dialog, der existenzielle Züge aufweist und all das in Frage stellt, an was Kestner glaubt. Dieser Dialog ist insofern aktuell, als man ihn auf die Frage beziehen kann, inwiefern es nicht überhaupt sinnvoll sein kann, nur im Hier und Jetzt und in der verhaltensökonomischen Verrechnungslogik digitalisierten Lebens zu leben und auf alles Historische, Philosophische, Traditionelle zu pfeifen. Kestner und sein Assistenz gehen Morden nach, versuchen, die Mörder zu finden – und exakt den Sinn dieses riskanten Tuns stellt Mephistopheles auf den Prüfstand. Der Hörfunk- und Buchautor hat einen leicht lesbaren Roman geschrieben, dessen historische Verankerung äußerst locker ist und zwischen dessen Zeilen man lesen kann, aber nicht muss. Unterhaltsam ist er allemal.

Hanspeter Reiter