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Heimito von Doderer

Autor Eva Menasse
Verlag Deutscher Kunstverlag
ISBN 978-3-4422-07351-7

„Heimito von Doderer war ein Schrull, ein Kauz, ein wahrlich in mancher Hinsicht unsympathischer Zeitgenosse. Aber Doderer ist ein Gott der Literatur.“ (S. 17)
„Mir sind die Laster Doderers lieber als die Tugenden seiner Kritiker“, zitiert Eva Menasse den großen Doderer-Kenner Wendelin Schmidt-Dengler (S. 67)

Einblicke – verbal und visuell
Eva Menasse, österreichische Journalistin und freie Schriftstellerin, Trägerin unterschiedlicher Literaturpreise und ehemalige Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist mit diesem Band zu Heimito von Doderer (1896-1966) nur zu gratulieren. Er ist ein Geschenk für all jene, die das Werk des österreichischen Autors, der erst in seinen 50er Jahren einer breiten Öffentlichkeit bekannt – und dies „blitzartig“ – wurde, dessen Konterfei beispielsweise 1957 die Titelseite des „Der Spiegel“ zierte, lesen und genießen. In diese Zeit (1950er) fiel sein Durchbruch als Schriftsteller und wurde mit Namen wie Marcel Proust und Thomas Mann verbunden. Thomas Bernhard wird anlässlich des Todes Heimito von Doderers der Kommentar nachgesagt, nun komme seine (Bernhards) Zeit. Eva Menasse plädiert mit Emphase dafür, den Schriftsteller, der seine Berufung während seiner Gefangenschaft in Sibirien entdeckte, zu lesen, „wiederzuentdecken“. Die Gründe in Kurzform: Sein Werk (Romane, Erzählungen) sei vielgestaltig, verbinde Gegensätze mühelos, seien „formal avanciert, wahnsinnig komisch und sprachlich bildschön.“

Ein Stichwort für Gegensätze: Die diversen alter egos, die Doderer in seinen so verschiedenartigen Romanen schafft und durch sie seine – auch für ihn selbst – anstrengenden Konstellationen verschiedenartiger bis gegensätzlicher Bestrebungen, Antriebe, Absichten, Haltungen und damit seine Persönlichkeit verständlich(er) machen. Es sind vorzugsweise Zitate von Äußerungen Doderers, die diese innere und keineswegs harmonische Psyche und Lebensform illustrieren. Etwa seine Philosophie des „Umwegs“ und der „Menschwerdung“ (ausgeführt in zahlreichen Beiträgen von dem (verstorbenen) Doderer-Kenner Wendelin Schmidt-Dengler), oder sein Romanideal der Formschönheit, der Form vor Inhalt-Vorstellung, seine Romanauffassung, ein guter Roman sei einer, dessen Inhalt man unmöglich nacherzählen oder resümieren kann. Aufschlussreich sind diesbezüglich zudem die Ereignisse aus der Lebensführung Doderers. Zu alldem passen die Fotographien hervorragend, gerade jene, in denen Heimito von Doderer im Zentrum steht; denn wer genau schaut, schaut eine Persönlichkeit (Portrait, Ganzkörperaufnahmen), deren innere Unruhe zwischen „Wut und Idylle“ (S. 13ff) anzusehen ist, mal in eleganter, mal in fröhlicher Pose, mal in originell- befremdender (mit Bogen als junger Heros), mal in konventionell-vertrauter (am Schreibtisch, in Gesellschaft) Darstellung.

Werk und Leben
Ein Stichwort für Vielgestaltigkeit und das formal avancierte mag ein Blick sowohl auf Anlage, Komposition, „Romanaufbauplan“, Leserführung seiner Romane und Erzählungen erschließen, ebenso wie auf die Inhalte und seine literarisch-sprachliche Brillanz, seinen feinen und derben Humor, seine zarte Ironie, seine originellen Einfälle für Figuren, seine plötzliche Anrede des Lesers aus der Position des allwissenden Erzählers und sein Prinzip der Verzögerung und der unzähligen Fäden, die er spinnt und denen – trotz der Entfernung von der „eigentlichen Handlung“ – der Leser mit Vergnügen folgt. Das formal Avancierte erschließt sich explizit in seiner „Symphonie“-Idee einer Romanfolge (Tetralogie), die er nicht hat abschließen können.

Die Begeisterung der Autorin verschließt ihr nicht den Blick für einen sogenannten schwarzen Fleck in Doderers Leben: seine mehrjährige Nazimitgliedschaft. Doch sie vermengt diesen Teil der Biographie nicht mit dem Werk insofern, als dieser Fleck sie nicht davon abhält, den Schriftsteller zu ehren. Diesem Aspekt widmet sie das Kapitel: „Dragoner und Wehrmachtssoldat – aber auch Nazi?“ In einem anderen Kapitel bekennt sie: „Ich habe mir Doderer durch die linke Kritik nicht austreiben lassen, ich lasse mir ihn und auch nicht durch die neue rechte Hymnik wieder einreden.“ Und: „…was von einem großen Künstler bleibt, ist …..sein Werk, in Doderers Fall die „souveräne Mischung von Sublimem und Trivialem, von individueller und politscher Geschichte“ (Schmidt-Dengler). Seine Romane sind funkelnde Gewebe der Sprach- und Erzählkunst und so ungeheuer komplex geschichtet, dass man sie immer wieder, und wahrlich aufs Neue, lesen kann.“ (S. 67)

Die Autorin verwebt Persönlichkeitsfacetten, biographische Ereignisse und Erlebnisse insofern mit dem Werk Doderers, als sie Stimmungslagen, thematische Interessen und formal-literarische Anliegen, Namen realer Personen, deren Kernschicksale und Charakteristik, insbesondere aus dem durchaus komplizierten familiären Umfeld, in Romanen und Erzählungen nachvollziehbar verknüpft – und zwar ohne Psychologisierung.
Für Neuleser hält Eva Menasse mit einem Lächeln einen „Befehl“ bereit: Bitte keinesfalls mit den bekanntesten oder gar Hauptwerken beginnen, der „Strudlhofstiege“ oder „Die Dämonen“, sondern mit „Die Wasserfälle von Slunj“, dem letzten vollendeten Roman; denn, so Eva Menasse, dies ist: „Sein vielleicht schönster Roman, glasklare, verdichtete Doderer-Essenz auf nur etwas mehr als 300 Seiten.“ (S. 81) Als weitere Orientierung findet der Leser eine „Zeittafel zu Heimito von Doderers Leben und Werk“; eine „Auswahlbibliographie“ mit Inhaltsskizzen von Romanen und Kurz- und Kürzestgeschichten und eine Liste mit Primär- und weiterführender Literatur (knapp). Der Kunstband erscheint in der Reihe „Leben in Bildern“, herausgegeben von Dieter Stolz, und ist zugleich Sonderband 5 der Schriften der Heimito von Doderer-Gesellschaft. www.dr-mahlmann.de www.gabal.de

Regina Mahlmann