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Hybris. Die überforderte Gesellschaft

Autor Meinhard Miegel
Verlag Propyläen
ISBN 978 3 549 07448 0

Meinhard Miegel, von 1977 – 2008 Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft und seit 2007 Vorstandvorsitzender des „Denkwerk Zukunft. Stiftung kulturelle Erneuerung“, ebenfalls Bonn, bietet dem Leser eine ergänzende Lektüre an zu K. J. Gergens „Das übersättigte Selbst“ oder zu dem soziologischen Werk von Alain Ehrenberg „Das erschöpfte Selbst“.

 

Allerdings ist „Hybris“ kein Prosa-Sachbuch mit aufeinander aufbauenden Kapiteln, sondern eine Reihung kurzer Aufsätze, zu Aspekten der (aus eher konservativ-bürgerlicher, auch religiös-ethischer Perspektive) an individueller wie sozialer Hybris erkrankten Gesellschaft. Diese Miniaturen folgen den Teilen Prolog, Türme von Babylon, Himmel auf Erden, Die Kunst der Beschränkung sowie Epilog.

 

Die ersten zwei Buchteile skizzieren in einfachen, sachkundigen Strichen zeitlich fern- und nahe liegende Ereignisse oder Strukturen aufeinander und beklagen den Status Quo. „Himmel auf Erden“ widmet sich dem Menschen: seiner vor allem psychischen Disposition, seinem Streben, Glücksemfinden, auch den Widersinnigkeiten, in denen er lebt und beklagt die Begrenztheiten bzw. die mangelnde Akzeptanz eben dieser mit entsprechendem Handeln als Folge. Daran schließt sich die „Kunst der Beschränkung“, die auf Materielles wie auf Immaterielles (Wünsche, Ansprüche, Erwartungen) ausgedehnt wird und den Appell an das Intellektuelle im Menschen richtet: Denkt nach, ganz im Kantianischen Sinn oder in dem der Aufklärung: Stellt in Frage, wendet den Blick auf das Ganze und antwortet erst dann. Beschränkung, Ratio und Ethos christlicher Tradition mögen eine fruchtbare Verbindung eingehen, die es erlaubt, gesamtgesellschaftliches (also auch bildungs- und sozialpolitisches, wirtschaftliches) Leben so zu strukturieren, zu organisieren und via Institutionen, Regelungen, Angebote an Bildung und Ausbildung so zu gestalten, dass den gegenwärtig und zukünftig Lebenden eben dies möglich ist: ein Leben ohne Hybris.

 

Der Begriff Hybris, so kann man den Text lesen, steht für eine Zuschreibung von Ursache und Wirkung, nämlich Selbstüberheblichkeit, Selbstüberschätzung von Individuen, Klein-, Mittel-, Großgruppen. Zwar erwähnt Meinhard Miegel durchaus gegenwärtige Experimente, Versuche, Anstrengungen, Trends, der Hybris mehr Bescheidung (Bescheidenheit) entgegen zu strecken. Doch seine Diagnose kreist primär um die Missstände, die es zu beheben, zu beseitigen, zu verwandeln gilt. Auch Meinhard Miegel offeriert klugerweise keine Rezepte dafür. Indes die Anregung, die inzwischen mehr und mehr – zumindest rhetorisch – Verbreitung findet: Achtsamkeit, Bescheidenheit, Respekt als Begrenzung der Nutzung von Möglichkeiten des vermeintlich fortschreitenden Tuns und Besinnung auf sowie Nutzung der kognitiven und reflexiven Fähigkeiten, über die Menschen verfügen. Hanspeter Reiter, www.dialogprofi.de

 

Hanspeter Reiter