In anderen Herzen
Autor | Neel Mukherjee |
Verlag | Kunstmann |
ISBN | 978-3-95614-089-1 |
Diesen 600-Seiter als Nachfolger von Thomas Manns „Buddenbrooks“ zu empfinden, ist vielleicht ein wenig sehr enthusiastisch. Doch weist der Roman über den Verfall einer indischen Großfamilie viele Züge jener „Biografie“ einer Lübecker Kaufmannsfamilie auf, sodass ich mich wieder kehrend an eben jenen Nobelpreis-bringenden Roman erinnert fühlte: Sei es der Niedergang mit Rückblick auf vorherige Generationen. Sei es der Umgang eines Sohnes mit dem weiblichen Geschlecht. Sei es das Weggleiten eines weiteren Sohnes in einen völlig anderen Bereich, wobei der hier sein mathematisches Genie letztlich wird ausleben können und dürfen, wie der Epilog zeigt. All dies in einer völlig anderen Kultur, die doch vielerlei Spiegelung bietet. Leser erfährt sehr viel über die doch so andere Gesellschaft in Indien, seien es Kasten-Denken und –Handeln, Korruption und Quasi-Sklaverei der Bauern. Bis in die Jetzt-Zeit versuchen maoistisch orientierte Revolutionäre (Terroristen?), sich gegen herrschende Prinzipien aufzulehnen, die vor allem be-herrschend sind … All das kulminiert in Haus und Hof dieser Kaufmanns-Familie der Ghoshes mit internen Konflikten, die wiederum aus den klassischen Verwandtschafts- und Verschwägerungs-Beziehungen entstehen: „»Ma, ich gehe fort. Ich bin erschöpft vom Konsumieren, vom Nehmen und Raffen. Ich bin so vollgestopft, dass ich keine Luft mehr kriege. Ich gehe fort, um mich zu reinigen, mein altes Leben hinter mir zu lassen. Ich habe das Gefühl, in einem geborgten Haus zu leben. Es ist Zeit, mein eigenes zu suchen. Verzeih mir.« Kalkutta, 1967 die Stadt befindet sich im Aufruhr, Studenten liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei, Betriebe werden bestreikt. Angetrieben von dem Wunsch, sein eigenes Leben und die Welt zu verändern, hat sich Supratik, der älteste Enkel im Haus der Ghoshes, einer maoistischen Gruppierung angeschlossen. Während er versucht, die landlosen Tagelöhner für den bewaffneten Kampf zu gewinnen, und sich dabei in die Widersprüche zwischen politischem Idealismus und terroristischer Aktion verstrickt, bleiben die Zeichen der Zeit hinter den Mauern des Familiensitzes unerkannt. Noch herrschen der alternde Patriarch und seine Frau über die weitverzweigte Familie und ein Unternehmen, das diese in Wohlstand leben lässt. Aber so wenig sie die Brüchigkeit der alten Ordnung erkennen, so blind sind sie für die dunklen Geheimnisse der Kinder, die Intrigen der Schwiegertöchter und den schleichenden Kollaps des Familienunternehmens, der die Familie schließlich vor eine Zerreißprobe stellt. Meisterhaft erzählt Neel Mukherjee die Geschichte vom Verfall einer Familie und seziert dabei die Seele einer Nation.“ Dazu gehört auch, dass die Tochter gar keinen Ehemann abbekommt, während Tony Buddenbrook deren zuviel hatte – was seinen Grund hat, wie Leser erkennt, der jenseits der scheinbaren äußerlichen vielmehr sehr im Inneren liegt … Dass letztlich gewachsene Sonderbehandlungen durch Polizei (und Justiz?) irgendwann eine Grenze erreichen können, nämlich wenn jene korrupten Kräfte erkennen, dass von „denen“ nurmehr wenig erwartbar ist, führt zum finalen Knall … HPR