Internet der Dinge
Autor | Sprenger, Florian und Christoph Engemann (HG.) |
Verlag | transcript |
ISBN | 978-3-837-63046-6 |
Diese Aufsatzsammlung ist verdienstvoll und überfällig. Nicht nur, weil außer dem einen oder anderen kritiklos affirmativen Aufsatz die Mehrheit der Autoren sich einem kritischen: konstruktiv-skeptischen Blick auf das Internet der Dinge wirft. Sondern auch, weil die Autoren eine ansehnliche Bandbreite gerade allgemein unter- bis nicht belichteter thematischer Aspekte und Fragestellungen abdecken. Dies geschieht mit einem mehrheitlich medientheoretischen und kulturpolitischen Vorzeichen mit ökonomisch-politischen (kapitalismuskritischen) und geopolitischen Hinweisen oder Reformulierungen, etwa der Geschichte des Internet nicht als Geschichte von Technologie/ Technik, sondern industrie- und damit geopolitischer Erwägungen. (Damit trifft es sich hervorragend mit der ebenfalls äußerst lesenswerten kulturwissenschaftlich-soziologischen Geschichte der Netze von Sebastian Gießmann: Die Verbundenheit der Dinge. 2015)
Bereits die Einleitung ist lesenswert und bietet neben einem knappen Überblick über die weiteren Beiträge einen kursorischen Abriss zum Internet der Dinge, der Vergangenheit und Gegenwart miteinander koppelt und brisante Fragestellungen formuliert, die von anderen Autoren ausgeführt werden.
Das Internet der Dinge gilt als noch uneingelöstes Versprechen auf eine Utopie oder Dystopie, jedenfalls auf eine zukünftige Entwicklung von Gesellschaften und Sozialisationsräumen, von Wahrnehmungsweisen, etwa von Technologie und durch sie sowie von Raum. Raum gilt weniger als geographische Einheit, als etwas Statisches oder verlässlich Innen und Außen Definierendes, sondern als durch Relationen Hergestelltes. Räumlichkeit als Kategorie wandelt sich – und damit grundlegend das Verhältnis von Mensch zu Technik/ Technologie. Analog zu den embedded systems kann man von der Eingebettetheit der Menschen sprechen, was einige Autoren, insbesondere im Kontext der Calm Technology, auch tun und dabei Bezug zu Martin Heideggers Geworfenheit und In-der-Welt-seins herstellen.
Zu den unüblichen Betrachtungs- und Analysebrillen gehört ferner die epistemologische und mentale. Der zweite Teil visiert unter dem Titel „Epistemologien der Distribution“ den Umstand an, dass es Menschen sind, die den Dingen und deren Verbindung sowohl als M2M als auch als M2Mensch, insbesondere in der smarten Variante des Internet der Dinge, die Macht geben, dass diese vorgeben, was Menschen wahrnehmen, wie sie es tun und was sie für wirklich und unwirklich halten. Die Welt nicht mehr als menschlich-kognitiv-emotives Konstrukt, sondern als durch Verrechnung vermittelte.
Dank der impliziten Ontologie des Internets der Dinge, samt seiner Tendenz zur Calm Technology (in Teil eins) existiert nur noch das, was im Internet adressierbar ist. Da liegt die Frage nahe, welche Folgewirkungen dies entfaltet a) im Verhältnis zwischen Menschen und zwischen Mensch und intelligenter Maschine, der Ausfaltung der Beziehung zwischen Mensch und Nicht-Mensch(lichem) und b), was dies bedeutet für Personen (und Relationen), die sich dem Diktat des Konnektivismus entziehen möchten. Und schließlich sei der Aspekt erwähnt, dass hinter dem Konnektivismus oder mit ihm das Individuelle, das Individuum, das Einzelne und Partikulare zu verschwinden scheint. Was zählt, ist Existenz, und diese wird gestaltet durch Relationalität und Konnektivität, nicht nur durch Anschlussfähigkeit, sondern durch faktischen Anschluss.
Teil drei widmet sich unter dem Titel „Die neue Arbeit in der Ökonomie verteilter Maschinen“ dem Internet der Dinge als Wertschöpfungsmaschinerie, sowohl psychoanalytisch-existenzialistisch (mit Bezug auf das Ökonomisch-Unbewusste) als auch pragmatisch-praktisch (Industrie 4.0, Cloud und Zahlsysteme).
Teil vier versammelt Aufsätze zur Gestaltung von Umwelten oder Umgebungen durch Rechenprozesse und Relationen: Environmentalität; zu smart city, smart home und künstlerischem Ausdruck.
Ein Fach- oder Sachbuch, dem zahlreiche Leser zu wünschen sind, und in dem all jene Geister fündig werden, die einen intellektuellen und pragmatischen Blick auf das Internet der Dinge werfen und sich Anregungen zum Nach-, Vordenken, zum erweiterten Diskutieren und Reflektieren sowohl der politischen Dimension i.w.S. als auch persönlichen Seite des Lebens mit der Internet-der-Dinge-Technologie. Insbesondere Erziehern, Dozenten, Beratern, Weiterbildnern sei der Reader anempfohlen!
Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de