Kontinent Doderer – eine Durchquerung
Autor | Klaus Nüchtern |
Verlag | C.H.Beck |
ISBN | 978-3-406-69744-9 |
„Der Verlag“ dieses durchaus polarisierenden Autors (den ich erst vor Kurzem entdeckt habe – und nur empfehlen kann, welch kognitiv-kreative Schreibfülle!) hat rechtzeitig zum 50. Todestag 2016 diese Biografie heraus gebracht, zugleich übrigens zum 120. Geburtstag, wenn man so will. Und da gilt es wahrlich einen Kontinent zu durchqueren, mit einem Heimito von Doderer zwischen Nazi-Annäherungen und Nominierung für den Literatur-Nobelpreis …
Ein rascher Rundumlauf
Den bietet der Verlag mit seinem kurzen Beschrieb (ich weiß, das ist schweizerisch, doch ökonomischer …): „Die Romane Heimito von Doderers sind spannend, handlungsstark, figurenreich und sehr, sehr komisch – 50 Jahre nach dem Tod des Autors allerdings bilden sie einen fast vergessenen literarischen Kontinent. Dieser ist jetzt neu zu entdecken. Der Wiener Literaturkritiker Klaus Nüchtern folgt bei seiner Durchquerung des „Kontinents Doderer“ strikt der eigenen Neugierde.
Eine weite Reise
Er durchmisst ganz Sibirien, wo der Autor im Kriegsgefangenenlager zum Schriftsteller wird, und steigt die Stufen nicht nur der berühmten Strudlhofstiege hinauf, sondern auch ins Souterrain schlecht ausgeleuchteter Hausflure herab, wo die von Doderer inbrünstig gehassten Hausmeister hausen. Akribisch, aber nie akademisch, kritisch, aber nie verbissen, wird Doderers verschlungener Weg vom NSDAP-Mitglied zum gefeierten Über-Österreicher der Nachkriegszeit verfolgt. Nüchtern registriert die restaurativen Tendenzen Doderers ebenso wie dessen Tuchfühlung mit der Avantgarde und weist unter anderem nach, dass der passionierte Voyeur und arrogante Kinomuffel erstaunlich viel mit Alfred Hitchcock zu tun hatte.“
Eine Biografie, die das Oeuvre aufschließt
…und natürlich durch das Leben des Autors führt. Mit Kapiteln, deren Überschriften „für sich“ sprechen: Eine Gebrauchsanweisung – Schuld und Sühne, Schicksal und Sibirien – Herr von Doderer, wie haben Sie das gemacht? – Wie schön wäre Wien ohne Wiener – Von der NSDAP zum Triple-A – Versöhnung und Verklärung im Zeichen des Feuers – Die große Wut des Doctor D. – Fatale Vertikale. Dazu ein illustrativer Bildteil in der Mitte – und vor allem ein sensationelles „Who´s Who: Von Ablheiter bis Zwicklitzer“ zu den in Personen nachgerade schwelgenden Romanen „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“, ja durchaus auch mit überschneidenden Auftritten.
All die vielen Mitspieler …
Diese 52 Seiten haben es in sich, denn „die schiere Menge der Figuren, die in den beiden großen Romanen Doderers vorkommen, stellt eine nicht unbeträchtliche Herausforderung bei der Lektüre dar und trägt zugleich entscheidend zu ihrem Reiz bei. Insgesamt sind es … 390 Figurennamen, 36 davon kommen in beiden Romanen vor.“ Also ganz ausufernd und somit erschwerend, den Kontinent beim Durchqueren noch als Gesamtbild zu behalten …Nach der Lektüre dieses Buches fällt das erheblich leichter! Die zudem stark motiviert, weitere Bände aus Doderers Oeuvre zu genießen.
Youtube: Interviews
Wer „in den Autor hinein hören“ möchte, kann das tun: Es gibt zwei Interviews mit ihm (eines davon in kompletter wie auch Ausschnitts-Variante) als Audio-Mitschnitt auf Youtube, siehe z.B. https://www.youtube.com/watch?v=eMjctMhI4GQ: Heimito von Doderer über seine Arbeitsweise, mit Heinz Fischer-Karwin 1957.
HPR