LTI

„Notizbuch eines Philologen“ ist diese starke Analyse der Nazi-Sprache untertitelt, mit einem Konvolut von deutlich über 300 Seiten – plus nochmals 100 Seiten Anhang. Eine feine neue Ausgabe im handlichen Taschenbuch!

Sprache der Nazis
Die dringt auch heutzutage immer wieder an die Oberfläche, in der Politik (ja, primär AfD natürlich), gar in den Medien: „LTI – Lingua Tertii Imperii: Victor Klemperers Analyse der Sprache des Nationalsozialismus und ihrer Wirkungsmacht ist ein Meisterwerk der Geschichtsschreibung. Zugleich ist es ein historisches Dokument ersten Ranges von der Selbstrettung eines Sprach- und Literaturwissenschaftlers in hoffnungsloser Zeit.“ Denn an diesem Projekt hat der Autor sich über Jahre von Tag zu Tag gehangelt, aufmerksam Medien und Unterhaltungen beobachtet und in seinem Tagebuch Entdecktes notiert, schließlich im „Judenhaus“ eingesperrt… „Entsorgung“ hier, „Endlösung“ dort, „Jedem das Seine“ am Eingangstor eines Vernichtungslagers: Bedauerlich, wie gut Goebbels & Co. seinerzeit das Umwidmen von Begriffen, das Ummanteln grausamen Handels gelungen war! Wie gut, dass der Autor damals vielerlei festgehalten hat, was auch heute noch nachzulesen ist…

Ein paar Stichworte
…mögen die Fülle zumindest andeuten, mit der sich die sprachliche Manipulation nachvollziehbar darstellt, eine wahre Fundgrube: Superlative „kann man die meistverwendete Sprachform der LTI nennen…, er ist die Reklameform schlechthin“ (S. 246), bis hin zu Bezeichnungen wie GröFaZ = Größter Führer aller Zeiten – womit zugleich ein Hinweis auf den AküFi gegeben ist, den Abkürzungs-Fimmel (BDM & Co.). * Zielgruppen umfassend adressieren: „Die eigentliche Leistung… besteht… in den schroffst antithetischen Sprüngen vom Gelehrten zum Proletenhaften, vom Nüchternen zum Ton des Predigers… “ (S. 287) * „Jude“ als Pejurativ, siehe Judenknecht, Judenhure, Judensau, auch „Jüdlein“ (S. 202f.) * Vermassung, siehe „blindlings“, „fanatisch“ & Co. (S. 173) * religionshafte Ideologie: Auferstehung, Weihe, Orden, ewige Wache, Ewigkeit, deutscher Heiland, meine Apostel, allmächtig … Ja, „die Ausgabe von Elke Fröhlich erschließt den Text, seinen zeitgeschichtlichen Hintergrund und den denkbar weiten wissenschaftlichen Horizont des Autors durch einen detaillierten Kommentar“ S. 329ff., der einen eigenständigen wissenschaftlichen Apparat darstellt, plus einem Nachwort S. 409ff. Fazit: Lesenswert, anregend und nachdenklich machend! (Siehe dazu auch meinen Artikel zu Lurchi Salamander für www.comicoskop.com: https://www.comicoskop.com/comicoskop-aufmacher-oktober-2022-85-jahre-lurchi/) HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter