Skip to main content

NewYork 2140

Autor Kim Stanley Robinson
Verlag Heyne
ISBN 978-3-453-31900-4

Einordnen der Geschichte
„Der Autor der preisgekrönten Mars-Trilogie“ schafft mit diesem Buch eine Art „Doppler-Effekt“: Erinnerungen an allzu Nahes – und zugleich Anregungen dafür, mit der bevor stehenden Klima-Katastrophe so umzugehen, dass sie vielleicht doch abzuwenden ist – oder zumindest zu verschieben?! Dieser SciFi ist im Grunde eine Dokufiktion, in der allzu Bekanntes fortgeschrieben wird, mit laufenden Bezügen zu aktueller Vergangenheit wie Gegenwart. Seien es Klima-Modelle (wohl das mittlere Szenario), seien es Finanz-Themen, etwa 2008 ebenfalls extrapoliert in fernere Zukunft, die doch so nahe liegt …

Die Geschichte
Geboten wird dem Leser eine Art „Liebe“ zu NewYork, eine Hommage zumindest, wenn auch selbstkritisch, in der Figur „eines Bürgers“, der später variiert wird – und nachhaltig Fakten zum Geschehen beiträgt, als Rahmen quasi: „Nochmal dieser Klugscheißer aus dser Stadt“ (S. 659). Ansonsten wird jeweils wiederkehrend die Perspektive einiger Hauptpersonen geboten: Verantwortliche wie Vlade (Facility Manager, leitend), Charlotte (Vorsitzende der Genossenschaft etc.), Gen (Polizistin, leitend) – und andere Beitragende, alle miteinander verbunden – und teils gar verbandelt, später jedenfalls:
„New York, einhundert Jahre später. Der Meeresspiegel ist angestiegen, und die Straßen des Big Apple haben sich in Kanäle verwandelt und aus den einstigen Wolkenkratzern sind hoch aufragende Inseln geworden. Aber noch hat New York sich nicht aufgegeben. In einem Haus treffen so unterschiedliche wie ergreifende Schicksale aufeinander – Schicksale, die von der Zukunft nach dem Ökokollaps erzählen. Da ist zum Beispiel ein nimmermüder Detektiv [? gemeint ist evt. Vlade…], und da ist das Internet-Sternchen. Auf dem Dach leben die Coder. Ihr Verschwinden setzt schließlich eine Kette von Ereignissen in Gang, die das Leben aller New Yorker für immer beeinflussen werden.“ Schließlich mit einem Ereignis, das ans 2018er geflügelte Wort erinnert: „Ist das jetzt eine Hitzewelle in Deutschland? Manche halten das schon eher für einen Tsuwarmi“ – Augen zwinkernd und doch arg wahr …

Art der Geschichte
Dazu dann noch der Ich-Erzähler Franklin (ja! Wie der Mitgründer der Stadt), Hedgefond-Manager, der sich vom Saulus zum Paulus wandelt – Leser sei neugierig. Denn nach der zweiten Welle, die über NY herein gebrochen war, wurde das Immobilien-Thema im „künftigen Venedig“ das zentrale – daran und damit arbeitet er, eigener Index inklusive (S.- 168ff., 284, 791 …). Mit dem Beobachter-Effekt wechselseitigen Beeinflussens von Markt und Index, interessant und auch das: arg wahr. Doch war es das wirklich, kommt noch mehr? Immerhin wird im Laufe der weit über 500 Seiten aus der Dystopie eher eine Utopie, im Grunde eine Botschaft für die jetzt Lebenden, was machbar sein könnte.

Sprache und mehr
Dabei spielt der Autor schon mal mit Sprache und Kommunikation: „Es gab keinen Grund, ein Gespräch in Gang zu halten. Sie hatten bereits alles, was sie zu sagen hatten, nicht ausgesprochen.“ (S. 538). Und Newyorkese wird als eigene Sprache immer mehr en vogue: „… ist die Volkssprache Corks Anfang des 19. Jahrhunderts, die während der Masseneinwanderung der Südiren vor zweihundert Jahren hierher verpflanzt wurde… Popeye spricht die Sprache der Ureinwohner der Tenth Avenue. Betty Boop spricht ein übertriebenes Newyorkese … erklärt das Federal Writers Project 1938“. Interessant und witzig für mich auch deshalb, weil 1. Ich in Köln 5,5 Jahre in der Corkstraße gewohnt habe (zweitgrößte Stadt Irlands, einer der Partnerstädte von Köln-Kalk) und 2. Mein Comic-Hobby-Thema damit gestreift ist – übrigens auch andernorts, z.B. S. 659 (s.o.): „Vor etwa zweihundert Jahren gab es einen berühmten Cartoon … der… bestand aus einer Karte … in gestauchter Perspektive, sodass der Rest der USA etwa so breit aussah wie zwei Häuserblocks von Manhattan und der Pazifik nicht breiter als der Hudson“: wie treffend … Schön auch die Quelle für „Worte und Ausdrücke, von denen Dorothy Parkers Biograf behauptet, dass sie in ihrem Werk zum ersten Mal überhaupt gedruckt erschienen“ – und (auch dies arg passend) eine ausgiebige Synonyme-Liste rund ums Wasser – von „abgesoffen … über Haien einen Besuch abstattend und pilotfischend hin zu genoaht und universalgelöst, ad aqua infinitum“. Geradezu weiterbildend, wenn Begriffe aus der Marktforschung eingeführt werden, die einmal fürs Investment-Verhalten von Menschen relevant sind wie auch für das eigene Erleben der Protagonisten im Roman, z.B. „falsch eingeschätzte Repräsentativität“, wow! Auch Trainer, Coach, Berater möge sich um derlei kümmern, ähnlich zu selektivem Wahrnehmen!

Fazit
…ist kaum zu ziehen, lässt das Ende doch Weiterdenken in verschiedenste Richtungen zu. Doch im Sinne von „NewYork – NewYork“ von und mit Liza Minelli (Cabaret) ist das quasi ein „Lokal-SciFi“, ähnlich dem Lokal-Krimi. Eine der Personen sammelt alte Karten, viele Details sind genannt, die den Leser durch die Stadt führen – und deren Geschichte (der Älteste, repräsentiert durch Stefan & Roberto – S. 51 und viele andere mehr). Und Personen werden ins Spiel gebracht, die in NY und mit NY zu tun hatten, siehe etwa Roosevelt, Wharton, Melville, um nur ein paar heraus zu greifen. Historische Ereignisse sind en masse benannt, aufgegriffen und verarbeitet – so wird´s gar ein Reiseführer durch das zeitgenössische NewYork und seine Vergangenheit. Entsprechend ist jedem Kapitel eine Sammlung von Zitaten voran gestellt. Erinnert hat´s mich zudem an die Graphic Novel „Here“, die ein und den gleichen Ort über Jahrhunderte (gar Jahrmillionen …) in Szenen zeigt … HPR

Hanspeter Reiter