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Raubtierstadt

Autor Bernhard Stäber
Verlag acabus
ISBN 978-3-86282-650-6

„Norwegen-Thriller“ verführt fast dazu, diesen fein gestrickten Lokalkrimi zu sehr in eine Schublade zu stecken. Zwar gibt es Tote, doch dieser Roman ist ein völlig anderer als die erwartbaren Skandinavien-Thriller à la Mankell & Co. Mich hat er aus mindestens zwei Gründen interessiert: 1. Norwegen war Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2019 (siehe meinen Bericht auf www.comicoskop.de) und 2. Sind die Samen wohl ein uralisch-stämmiges Volk, ihre Sprache(n) den finnougrischen nächst verwandt (somit auch dem Finnischen, der weiteren nicht-germanischen Sprache Skandinaviens). Und natürlich doch noch 3. Neugierig auf einen weiteren Skandinavien-Autor, weil der – ein Deutscher ist  … Der allerdings in Norwegen lebt und weiß, worüber er schreibt!

Samen als Minderheit
… finden sich verteilt über zumindest vier Nord-Länder: Schweden, Finnland, Russland – und eben: Norwegen. Sie haben dort Minderheiten-Rechte, kommen dennoch kaum um Diskriminierung herum. In dieser teils feindlichen Umwelt der Großstadt Oslo spielt die Geschichte mit zweifachem Strang: „Sara Elin Persen aus dem indigenen Volk der Samen kommt vom Polarkreis nach Oslo, um mehr über den Tod ihres Bruders herauszufinden. Sie glaubt nicht, dass der Umweltaktivist bei einer zufälligen Kneipenschlägerei erstochen wurde.
Sara kommt in einer Künstler-WG im Bezirk Grünerløkka unter. Als einer ihrer Mitbewohner bei einem Einbruch getötet wird, gerät die junge Samin ins Visier eines Mannes, der vor nichts zurückschreckt, um ein … Wikinger-Artefakt in seinen Besitz zu bringen. Abgeschnitten von ihrer Familie in der Arktis und heimgesucht von den Erinnerungen an ihren toten Bruder bleibt Sara nur eines, um in Oslos Großstadtdschungel zu bestehen: Sie wird selbst zum Raubtier und jagt ihre Verfolger.“ Da ist viel Mystik im Spiel, gar in die Fantasy gleitend, was der Story durchaus Schwung verleiht: Der Autor bietet Einblick ins Fühlen und Denken der Figuren, statt derlei in den Vordergrund zu schieben.

Fast eine Dokufiktion!
Viel ist zu lernen für Leser, die interessiert und neugierig sind, siehe etwa (S. 60): „In dieser Stadt gibt es die größte Gemeinde an Samen außerhalber der Finnmark.“ Oder über Synästhesie, von der Sara betroffen ist (mehrfach, u.a. a.a.O.) – und die gut beschrieben erlebbar wird. Vor allem kommt nebenbei vielerlei nordische Mythologie ins Spiel, übertragen auch auf den Sternenhimmel, mit durchaus anderen Sternbild-Interpretationen (S. 166f.). Dies dann auch im Widerstreit mit den samisch-eigenen mythischen Figuren … Dazu gehört durchaus auch Trance mithilfe von Schwitzhütte und Trommelwirbel, in die sich Sara selbst versetzt, um in passende Stimmung fürs Erinnern zu kommen (S. 220ff.). Wer einen Faible für Kunst hat, wird mit Interesse etwas über „norwegische Nationalromantik in der Bildenden Kunst“ erfahren (S. 251f.). Einige Verbindungen zur Esoterik bringt der Autor S. 290f. ein, was mich an mein eigenes Interesse daran als Teenager erinnert hat, hinführend auch zu Fantasy und Science-fiction, wie bei den Personen im Buch… Sara löst schließlich beide „Fälle“, um die sie sich kümmert – doch der Weg dorthin ist weit, Umwege inklusive. Leser findet auf über 350 Seiten Spannung wie auch kognitiv Forderndes, ran an das Buch! HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter