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Schlüsselworte

Autor Bindernagel, Daniel, Eckard Krüger, Tilman Rentel, Peter Winkler (Hrsg.)
Verlag sonstige
Seiten 288 Seiten
ISBN 978-3-89670-748-2
Preis 29,95

White, Michael, Landkarten der narrativen Therapie. Heidelberg 2010, Carl-Auer, ISBN 978-3-89670-741-3

Fritzsche, Kai und Woltemade Hartmann, Einführung in die Ego-State-Therapie. Heidelberg 2010,Carl-Auer, ISBN 978-3-89670-745-1

Kachler, Roland, Hypnosystemische Trauerbegleitung. Ein Leitfaden für die Praxis. Heidelberg 2010, Carl-Auer, ISBN 978-3-89670-742-0

Furman, Ben, „Ich schaffs!“ in Aktion. Das Motivationsprogramm für Kinder in Fallbeispielen. Heidelberg 2010, Carl-Auer, ISBN 978-3-89670-743-7

Es ist mir eine Freude, diese fünf Bücher zu besprechen. Geballte Kompetenz, gespeist aus Wissen und vieljähriger Erfahrung, verbunden mit einer beim Lesen spürbaren Wertschätzung dem Klienten oder Patienten gegenüber und verwoben mit Fantasie, Schöpfertum und dem Anliegen, mit den Rat oder Unterstützung Suchenden gemeinsam Weisen zu finden, die hilfreich sind, Probleme zu behandeln: erträglich zu machen, ihre Bedeutung zu verändern oder aufzulösen – dies alles finden die Leser in jedem einzelnen dieser Bücher.

Die Reihenfolge, in der ich die Bücher besprechen (um nicht zu sagen: anpreisen) möchte, folgt einer deduktiven Logik. Daniel Bindernagel und Kollegen haben einen Reader zusammengestellt, der Sprache in das Zentrum rückt. Sprache ist unverzichtbar, wenn wir therapeutisch oder beraterisch tätig sind. Dass sie zwar ein prominentes, keinesfalls indes nicht das alleinige Medium ist, in und mit dem Therapeuten und Berater arbeiten, das wird sehr schnell an der Bandbreite deutlich, wo und wie Idiolektik eingesetzt wird.

Idiolektik bezeichnet die Eigensprache eines Menschen, und diese (und nicht das Vokabular des Therapeuten oder Beraters) ist Ausgangs- und Zielpunkt in Interventionen. „Das kennen wir spätestens seit NLP“, rufen Sie? Nun, idiolektisches Arbeiten dringt tiefer. Das beginnt damit, dass der Begriff auch paralinguistische und nonverbale Äußerungen inkludiert bis hin zum Körperbezug. Dies erläutert Peter Winkler sehr kenntnisreich, der in seinem Aufsatz „Die Eigensprache des Körpers“ die Wechselwirkung von Körper, Seele und Sprache thematisiert und fragt, wie auch körperliche Empfindungen den Weg in die Sprache finden und etwa den Ellbogen zum Sprechen bringt.

Im ersten Teil des Sammelbandes erfährt der Leser Näheres zu den „Grundlagen der Ideolektik“. Hier werden Themen behandelt wie: die „Eigensprache“ – was hat es mit ihr auf sich? Anschließend las ich etwas zur „Sprachentwicklung und Idiolektik“, sodann zu der Verbindung von Idiolektik und Neurowissenschaften“, der „Ressourcenorientierung in der Idiolektik“ und der „Eigensprache des Körpers“. Diese Aufsätze habe ich als grundlegend gelesen, um mich dann speziellere Auskünfte zu erhalten in Aufsätzen, die sich mit Einsatzmöglichkeiten und –zielen befassen, so zur „Kunst des Fragens“, der Bedingung der Möglichkeit für gelingendes idiolektisches Arbeiten, nämlich „Resonanz und Schlüsselworte“ sowie „Idiolektische Psychotherapie“.

Der zweite Teil imponiert durch die Heterogenität der „Anwendungsfelder“, denen gemeinsam ist, den Menschen als Leib-Seele-Geist-Einheit zu verstehen. Insofern enthält der Fächer Einsatzfelder, die teilweise überraschen mögen, etwa die Allgemeinmedizin oder auch , die erwähnte Wechselwirkung quasi abbildend, die Psychosomatik; Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychoonkologie und Palliativen Fürsorge (Palliative Care). Zudem auf Feldern, die wir als vornehmlich psychologisch-psychotherapeutisch begreifen: Traumatherapie, Seelsorge und im Business-Coaching.

Auf die einzelnen Beiträge der Autoren einzugehen, sprengt den Rahmen einer Rezension. Ich möchte hervorheben, dass die Vielfalt in beiden Teilen des Readers jedem Menschen, der professionell sprachlich interveniert, genügend Stoff bietet, um sowohl mit- und nachvollziehen zu können, inwiefern idiolektisches Arbeiten über das NLP-Niveau hinausgeht, als auch Beispiele findet, die idiolektisches Arbeiten gleichsam erfahrbar machen.

Mit „Schlüsselworten“ arbeitet auch Michal White in seiner narrativen Therapie. Ein wunderbares Buch, das man kaum von den Augen fortnehmen möchte. Neben der theoretischen (philosophischen) Verwurzelung in postmodernen Denkfiguren (M. Foucault, J. Derrida) spielen kulturpsychologische und mythologische Hintergründe eine entscheidende Rolle für den gedanklichen Hinter- oder Untergrund der narrativen Therapie des Autors (der 2008).

Beides, das Postmoderne wie Kulturpsychologie und Mythologie münden in eine Therapieform, die sowohl den Therapeuten als auch die Patienten in die Pflicht nimmt – wenn auch in unterschiedlicher Weise. Der Therapeut sollte das Prinzip der Idiolektik beherrschen; denn seine Aufgabe ist es, den Erzählungen des Patienten zu folgen oder sie mit Worten, Bildern, Beschreibungen auf sie selbst zuzulenken – mit Worten, die die ihren sein könnten. Der Therapeut wird gleichzeitig aufgefordert, die Illusion der Neutralität aufzugeben und sie vielmehr reflexiv zu wenden, indem er sich immer wieder selbst betrachtet und sein Wirken aus der Metaperspektive kritisch überprüft.

Postmodernistisches Erzählverständnis manifestieren sich in einem wesentlichen Aspekt der narrativen Therapie: dem Finden oder Entwickeln neuer Erzähllinien. Michael White formuliert als einen weiteren besonderen Schritt seiner Therapie die Externalisierung von Problemen – sie erhalten eine Art Persönlichkeit und haben auch insofern ein anderes Gewicht und eine andere Rolle als die „Teile“ oder „Teilpersönlichkeiten“, die in NLP-Kontexten gern genutzt werden. Externalisierungen bei Michael White sind keine Persönlichkeitsanteile, sondern inkarnierte Probleme: Probleme, Sachverhalte, die verändert werden sollen. Wohltuend dabei: Der Autor als Therapeut nimmt den „Problembesitzer“ mit dessen Einverständnis als einen solchen ernst und versucht nicht, die Problematik durch pseudo-systemisches Bramarbasieren zu zerfasern oder zu anonymisieren.

In den Erzählfluss elegant eingespeist sind Fallbeispiele, die die abstrakten Äußerungen des Autors erlebbar machen. Michael White beschreibt insgesamt sechs „Landkarten“, die dem Leser einen Eindruck davon vermitteln, wie narrative Therapie praktisch verlaufen kann. Die Beispiele handeln von Kindern, Jugendlichen, Familien, Paaren und deren so verwickelten Beziehungsvarianten.

Die narrative Therapie in der Weise, wie sie von Michael White grundiert und modelliert wird, scheint mit den „Ego-States“ der Ego-State-Therapie Gemeinsamkeiten zu haben. Aber dem ist nicht so, weil es nicht um Problem-Externalisierungen, sozusagen, Problem-Persönlichkeiten geht, sondern um Ich-Zustände oder Ich-Persönlichkeiten im Rahmen eines Verständnisses, das etwa Friedrich Nietzsche formulierte: „Ich bin viele!“. Kai Fritzsche und Woltemade Hartman skizzieren in ihrer Einführung in die Ego-State-Therapie, welche Konstituentien zu einem Ego-State gehören – und wie damit zieldienlich und respektvoll gearbeitet werden kann.

Der erste Teil widmet sich vermittelt grundlegendes Wissen, um zu verstehen, was diese Therapieform konkret ist. Begriffliche und konzeptionelle Klärungen sind ebenso bedeutsam wie die „Grundbausteine“ kennen zu lernen und zu verstehen, wie Ego-States entstehen, welche Behandlungsziele realistischerweise definiert werden können und auf welchen Ebenen Therapeut und Klient/Patient arbeiten können. Auch jenen, deren Präferenz „das Praktische“ ist, sei angeraten, sich den ersten Teil des Büchleins vorzunehmen, bevor sie den zweiten Buchteil genießen. Dieser skizziert das Behandlungsmodell in einer Art exemplarischen Verlaufs der Ego-Arbeit in einer psychotherapeutischen ambulanten Praxis anhand der Traumatherapie.

Berater, deren Arbeitsakzent darauf liegt, Menschen zu inspirieren, die sich in Situationen befinden, die sie als schwierig, krisenhaft oder ähnlich erleben – die ihnen Entscheidungen abverlangen, profitieren durchaus von diesem Büchlein – Therapeuten sei es ohnehin auf den Tisch gelegt.

Wie die erwähnten Therapieformen kann auch die „Hypnosystemische Trauerbegleitung“, obgleich von einem besonderen theoretischen Ansatz: der Systemtheorie autopoietischer Systeme kommend, mit idiolektischen Bemühungen ihre Wirksamkeit erhöhen. Das sei explizit erwähnt – schließlich arbeitet diese Trauertherapie mit hypnotischen Momenten.

Das Konzept, das Roland Kachler entwirft und gründlich erläutert, nimmt Trauerarbeit bei schweren Verlusten als einen Prozess, der komplex und dynamisch ist: als prekären Selbstorganisationsprozess (15). Dieser strebt nach einer Lösung in einem scheinbar unlösbaren Kontext. Das hypnotische Moment unterstützt diese Prozesse der Lösung – lenkt Aufmersamkeitsfokussierung und damit Energieflüsse um. Hypnosystemisches Verständnis sowie eine ihm verpflichtete Trauerarbeit eröffnen, Lösungsprozesse – Ausbrüche aus Mustern, aus dem Kreislauf – in unterschiedlicher Weise zu begreifen und dem Trauernden entsprechende Angebote zu unterbreiten und sie zu begleiten. Der Ansatz breitet dazu stimmig Versionen aus: „Trauerarbeit als“, z.B. als Stabilisierungs- und Ressourcenarbeit, als schmerzliche Realisierungsarbeit, als kreative Beziehungsarbeit, als Suche nach einem sicheren Ort für den Verstorbenen“.

Sehr empathisch (der Leser meint, die Trauer über den Verlust des eigenen Sohnes des Autors in den Zeilen zu spüren) und gleichzeitig gedanklich klar entführt Roland Kachler in eine Denk-, Deutungs-, Beziehungs-Welt, die wir lieber mieden und in die doch jeder Mensch irgendwann eintritt. Hypnosystemische Trauerarbeit lässt Trauernden einen Lichtschein am Horizont erkennen, der für jeden eine andere Farbe hat.

Die Rezension möchte ich beschließen mit einem Lächeln. Denn das wird auf jedes Lesergesicht gezaubert, der das Büchlein von Ben Furman liest „Ich schaffs! in Aktion“. Der finnische Psychiater hat das „Motivationsprogramm „Ich schaffs““ mit Kollegen gemeinsam konzeptualisiert. Zunächst auf Kinder bezogen, haben sie das Motivationsprogramm erweitert für die Arbeit mit Elterngruppen, Jugendlichen und Teams; neben Workshops, Einzelsitzungen werden mediengestützte Lernprogramme angeboten.

Die theoretischen und philosophischen Wurzeln, die der Autor nennt, schließen den Kreis dieser Besprechung. Idiolektik, die narrative Therapie von Michael White und David Epson, Milton H. Erickson (Hypnotherapie), Jay Haley (lösungsorientierte Kurzzeittherapie) werden als „Inspirationsquellen“ genannt – und der Leser wird diese in den – lehrreichen wie amüsanten – Fallbeispielen ebenso wieder erkennen wie in den programmatischen „15 Schritten“ des Programms und den „Tipps zum Schluss“.

Zwar steht die Arbeit mit Kindern und Eltern im Vordergrund – dennoch empfehle ich allen Professionellen, die vorzugsweise psychologisch orientierte Beratung betreiben, dieses Buch zu lesen. In der Struktur des Konzepts und Vorgehens erkennen sie Aspekte, die in der Erwachsenenberatung gleichermaßen gelten. Und da seit einigen Jahren die Arbeit mit „Teilpersönlichkeiten“ und Formen der Externalisierung von Problematischem ebenso gearbeitet wird wie mit Sprachbildern (Metaphern, Allegorien etc.), Visualisierungen und Imaginationen, mit Geschichten/Erzählungen bis hin zu Einsatzvarianten des Körpers, können die vergnüglich zu lesenden Fallbeispiele dazu inspirieren, der eigenen Fantasie freien Lauf zu lassen.

Je nach beruflicher Tätigkeit wird das eine Buch interessanter erscheinen als ein anderes – des Lesens und des mentalen Verweilens wert ist jedes einzelne von ihnen. Selten habe ich eine so gelungene Kombination von Theorie und Praxis, von intellektueller Schärfe und der Demonstration praktischer Umsetzung, von tiefem Ernst und erfrischender Heiterkeit in Büchern vorgefunden.

Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de
drmahlmann@aol.com
 

Dr. Regina Mahlmann