Seit wann haben Sie das?: Grundlinien eines Emotionalen Konstruktivismus
Autor | Arnold, Rolf |
Verlag | sonstige |
Seiten | 232 Seiten |
ISBN | 978-3896707116 |
Preis | 24,95 |
Nach dem sozialen und individuellen, nach dem kognitiven nun ein emotionaler Konstruktivismus. Professor Rolf Arnold hebt den Aspekt des affektiven und emotionalen In-der-Welt-seins und –handelns hervor und schildert diesen Weltbezug in besonderer Ausführlichkeit und zeitweise nahezu missionarischer Tonalität. Die Redundanz erfüllt jedoch eine dem Autor offenkundig angelegen seiende Funktion: Kernappelle werden nicht überlesen.
Zu diesen Kernappellen gehört, dass es nur via Selbstreflexion gelingen kann, Selbststeuerung, -formung, -entwicklung intentional zu gestalten. Ferner: Wir sollten darauf achten, dass wir – insbesondere bei Veränderungsabsichten – emotional im Einklang stehen mit dem, was wir vorhaben. Dies sollte sowohl in der selbstgeleiteten Entfaltung beachten als auch im alltäglichen Leben als auch in der professionellen Lern- und Lehr- und Veränderungsarbeit, die sich um andere Menschen, um Dritte kümmert.
So trivial das Ergebnis erscheinen mag – die verschiedene wissenschaftliche Disziplinen integrierende Begründung oder Grundlegung ist es keineswegs. Der Autor integriert in sein Konzept vom transformativen Lernen systemische Denkfiguren und konstruktivistische bzw. konstruktionistische Konzepte, bereichert das Ensemble jedoch um Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und – in unüblicher Weise – um sprachphilosophische Ausführungen (vor allem mit J. Derrida). Dieses In-Beziehung-Setzen wird all jenen Lesenden Freude machen, denen Theoretisieren als wertvolles und Einsichten generierendes Tun erscheint und die beim Lesen mit dem Autor in eine durchaus kritische Diskussion und Kontroverse eintreten.
Die Frage, was den Emotionalen Konstruktivismus nun speziell ausmache, stellt sich während der Lektüre des öfteren. Der Autor gibt eine Antwort, die lautet: „Der Emotionale Konstruktivismus ist sowohl eine Erkenntnis- und Wahrnehmungstheorie als auch eine pädagogische Theorie. Er liefert uns Zugänge zu dem, was uns denkmöglich erscheint und deshalb auf uns zu wirken vermag, und der eröffnet zugleich Wege, die uns über das, was uns festlegt, hinauszuführen vermögen – und einer anderen Sicht dessen, was wirkt, und zu einem anderen Umgang mit uns selbst und anderen. Als Veränderungs- und Lebenslaufwissenschaft befasst sich die Pädagogik deshalb im Kern mit der Frage, wie es uns gelingen kann, das Soziale zu verändern, indem wir uns selbst verändern und aus der festlegenden Wirkung unserer kognitiven und emotionalen Downloads auszusteigen.“ (97f); zusätzlich lenkt sie den Blick auf die Dimensionen: Identität, Deutung, Aneignung, Kompetenz (ebd.). Nun ja, lautet ein Leserkommentar, das alles hatten wir schon, sowohl der Anspruch als auch die Kategorien sind nicht eben originell. Vor allem aber: Was ist das Emotionale als Spezifikum in diesem Konzept? Was unterscheidet den Emotionalen Konstruktivismus von dem kognitiven und sozialen?
Nach meiner Lesart ist es vor allem die Konvergenz mit einer Einsicht, die erstmalig der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty vor etwa 50 Jahren formuliert hat: dass Menschen zuallerst sinnlich und das heißt auch: emotional wahrnehmend in der Welt sind und diese Priorität prägende, basale Wirkungen zeitigt.
Rolf Arnold kombiniert diese Einsicht mit all dem, was wir den Tenor konstruktivistischen Denkens (Akzent auf individueller Kognition), konstruktionistischen Denkens (Akzent liegt auf sprachlich vermittelter, sozialer Herkunft von Erkenntnis) und systemischer Denkfiguren aus Biologie, Soziologie, Psychologie, Neurowissenschaften (Rückkopplung, Vernetzung, Wechselwirkung, Eigenlogik, Dynamik, Komplexität) nennen können. Daher tritt das Emotionale als Spezifikum seines Ansatzes des transformativen Lernens zuweilen in den Hintergrund. Wieder auf die Bühne schreitet es allerdings dann, wenn es um Spiritualität als „Erweiterung einer emotionalen Führung“ geht.
Dem Buch hätte ich ein sorgfältigeres Lektorat gewünscht. Weniger, um Redundanz zu reduzieren als darum, im Verlauf des Lesens störende stilistische „Mängel“ zu beheben, etwa das inflationäre „auch“, „letztlich auch“, „auch wirklich“ etc.; oder Konjugationen des Verbs „vermögen“ oder Sätze zu glätten wie: „Diese Downloads emergieren spontan.“ (98) Die Kürzung von Abschnitten, in denen der Autor scheinbar bedeutungsschwanger philosophiert, Nebenarmen des Hauptflusses folgt und dabei noch kleinste Quellen entlang schreitet, hätte den inhärenten Botschaften sicher gut getan.
Nichtsdestotrotz: Da es auf Inhalte ankommt, wünsche ich dem Buch und damit dem engagierten Autor hohe Aufmerksamkeit und produktiv und konstruktiv geführte Kontroversen. Es lädt zu Einsichten ein, ebenso zu Widerspruch als intellektueller Kritik und Infragestellung ethischer Grundannahmen. Die Folgerungen, die der Autor seinem Konzept für Erwachsenenbildung, auch in Unternehmen, zieht, passen übrigens gut zu einer Entwicklung, die bereits als Trend bezeichnet werden kann: Werteorientierung und Balanceempfinden als Wegweiser im Denken, Fühlen und Handeln.