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Sprung ins Wir

Autor Hansch, Dietmar
Verlag sonstige
Seiten 295 Seiten
ISBN 978-3-525-40427-0
Preis 24,90

Dieses Buch des Internisten, Psychotherapeuten und Dozenten am Seminarzentrum der Klinik Wollmarshöhe in Bodnegg scheint mir geeignet, zwei Antworten zu provozieren: Die einen Leser schieben es von sich, auf Nimmerwiedersehen; die anderen schleppen es mit sich herum, weil sie zumindest mit der Diagnose der aktuellen Gesellschaft vollständig übereinstimmen und, sozusagen im Schwung dieser Affirmation, gleich das analytische Instrumentarium („Systemisch“ beeindruckt ja meistens) mittragen und auch die therapeutischen Vorschläge, samt ihrer Begründung. Mein Vorschlag lautet: es zu nehmen, um eine konstruktiv-kritische Debatte zu entfachen oder lesen, um seine eigenen Gedanken in der Auseinandersetzung zu schärfen.

Auf die Zeitdiagnose – der Autor wiederholt den Ausdruck „apokalyptische Reiter“, und tatsächlich malt er einen der Apokalypse nahe stehenden Zustand – verwendet Dietmar Hansch sehr viel Energie, und zwar sowohl mentale als auch emotionale. Die Empörung springt den Leser geradezu an; ihr verdanken sich zahlreiche Redundanzen und eine Tonlage der Eindringlichkeit, die beim Lesen zuweilen spürbar wird.

Diagnose und Vorschläge zu einer „Therapie“ werden innerhalb eines spezifischen systemischen Modells geleistet: der Synergetik Herman Hakens, bereichert um evolutionistische Betrachtungskategorien.

Vorgestellt werden Grundzüge einer „Dritten Kultur“, die systemische Wirklogiken befördert, sodass eine Gesellschaft des „Wir“ resultieren kann. Diese Grundzüge können als Vorschläge für eine konkrete Utopie gelesen werden. Es sind exakt die Ausführungen zu dieser sozio-kulturellen Zukunftsform, an denen der Leser sein eigenes Denken überprüfen und seine Argumentation dort schärfen kann, wo der Autor Ein- und Widerspruch geradezu provoziert. Ein- und Widerspruch kommen gewiss von Systemikern, zudem von philosophischer und soziologischer, vermutlich auch von kulturanthropologischer Seite, eher fachlich, konzeptionelle und theoretisch motiviert. Wahrscheinlich sind ferner solche, die sich an dem apodiktischen Gestus stören sowie daran, dass der eine oder andere Leser einen Mangel an Toleranz, mentaler Großzügigkeit dort wahrnimmt, wo etwas mehr Elastizität und weniger Missionarität zieldienlicher wäre, etwa, wenn es um Fragen des Glaubens, der Religion, der Metaphysik in der Lebensführung geht.

Wer in den Diskurs über Zukunftsvisionen einsteigen möchte, findet in diesem Buch Anlässe für Kontroversen, die – in konstruktivem Geist geführt – alle Beteiligten zu präziser Argumentation auffordern – und bei dieser Gelegenheit ließe sich auch das Literaturverzeichnis erweitern, konkreter: heterogenisieren, etwa um Reader der Stiftung Forum Verantwortung (S. Fischer Verlag).

Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de
 

Dr. Regina Mahlmann