Skip to main content

Warum es die Welt nicht gibt

Autor Markus Gabriel
Verlag ullstein
ISBN 978 3 550 08010 4

Markus Gabriel, der jüngste Philosophieprofessor der Bundesrepublik, ist dem Leser vermutlich in den letzten Monaten so oft in öffentlichen Medien begegnet, dass eine nähere Vorstellung entbehrlich ist.

 

Der von Markus Gabriel in verschiedene „Bereiche“ und „Sinnfelder“ (alternativ zu „Welt“) hineingeworfene bzw. von Interpretierenden und Denkenden aufgefangene und mit „Sinn“ (existenziale Kategorie) versehene Neue Realismus (Wortschöpfung nicht vom Autor) und seine Sinnfeldontologie, die die Perspektiven von Menschen zu ontologischen Tatsachen (statt Konstrukten) macht – statt Welt gibt es Sinnfelder -, hat besonders in den Feuilletons helle Begeisterungsstürme ausgelöst. Das wundert den fachlichen Kundigen, die Philosophen sowieso – denn neu sind die Überlegungen keinesfalls – und erfreut neben Feuilletonisten vermutlich jene Zeitzeugen, die der Rhetorik des radikalen, interaktionalen und sonst wie „alen“ Konstruktivismus` überdrüssig sind, sei es, weil er es schwer macht, Beliebigkeit nachvollziehbar, voraussagbar, auf der Grundlage allgemein anerkannter Regeln auszuschalten; sei es, weil er erkenntnistheoretisch unbefriedigend ist – was Markus Gabriel durchaus zeigt, bei anderen Philosophen wie Wolfgang Welsch allerdings intellektuell ausgefeilter zu lesen ist.

 

Das wird denn auch vor allem gefeiert: dass da ein junger Mann den Mut (!) hat, sich dem „universalen Konstruktivismus“ (166) entgegen und vor der Möglichkeit objektiver Wahrheiten aufzustellen. Wie überzeugend er dies tut, ist eine andere Frage, und, siehe oben, andernorts raffinierter und gründlicher analysiert und debattiert. Es ist ganz einfach: Der Konstruktivismus ist selbst ein Konstrukt, als ein solches performativ widersprüchlich, da er ja behauptet, die Menschenwelt bestehe ausschließlich aus Konstruiertem (Referenz v.a. I. Kant). Damit ist auch klar: „DIE“ und die „EINE“ Welt kann es nach Markus Gabriel nicht geben (Hervorhebung und Ausdifferenzierung von der Rezensentin), v.a. weil wir (unabhängig von Konstruktivismus) immer Teil von etwas sind und deshalb, so definitorisch der Autor, das Ganze nicht erfassen können. Als Teil, so die Annahme, können wir nicht das Ganze erkennen. Philosophische Positionen, die exakt dies zum Argument für das Gegenteil nehmen, werden nicht diskutiert. Zudem wählen wir unterschiedliche Zugänge: Sinnfelder, die das Eine different erscheinen lassen (so bereits Aristotes); etwa Physik physikalisch, Psychologie psychologisch.

 

Der Autor führt – im Strom von Ludwig Wittgensteins – alternativ zum Weltbegriff den des Sinnfelds ein; weitere Schlüsselbegriffe sind Sinn, Tatsachen, Bereiche. Vielleicht ist der Rezensentin der intellektuelle Clou entgangen – Setzungen ersetzen Setzungen durch andere Setzungen; Wahrheit, Existenz, Sinnfeld-Spezifizität (Perspektivität, Kontektivität, Kontextgefärbtheit etc.), stets mit philosophischen Klassikern wie Heidegger, Nietzsche, Putnam, Kierkegaard und anderen im Schlepptau. Das liest sich alles sehr angenehm und interessant; der Leser schmunzelt anlässlich fröhlich gemalter Beispiele, beugt sich interessiert über die Kapitel von Geist, Sinn und Kunst, hält dann und wann inne, um ein Argument zu prüfen, erfreut sich an der einen oder anderen Redundanz, wird indes philosophisch nicht überrascht. Allerdings kann er mit intellektuellem Gewinn und mit Vergnügen lesen, was Filme, Serien, Kunstphänomene als mediale (Re-) Präsentationen oder Manifestationen von Haltungen, Überzeugungen, Glauben transportieren; und auch die Kapitel über Sinn und Geist, Sinn und Kunst und Sinn und Religion sowie über „die Sinne“ zu lesen, bereitet Freude.

 

Der Autor, so schrieb es ein Rezensent, schmeiße sich sprachlich geradezu an den Leser heran. Und in der Tat scheint sich der Autor in die mehr oder weniger vorhandene Originalität einiger Beispiele und Formulierungen verliebt zu haben. Der Leser sollte sich dieser Flirterei anschließen. (Philosophen versuchen sich gern in originellen Gedankenexperimenten, von denen sich der Autor hat inspirieren lassen.)

 

Es gibt keinen Grund, diesen populärphilosophischen Essay im Buchhandel zu lassen!

Hanspeter Reiter