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Was ist deutsch?

Autor Dieter Borchmeyer
Verlag Rowohlt Berlin
ISBN 978-3-87134-070-3

„Die Suche einer Nation nach sich selbst“ als Untertitel gibt (ungewollt?!) das Dilemma wieder, das lange Zeit Sprache & Selbstverständnis trennte. Oder Dichotomie, Kombination aus beidem? Wobei, auch „eine deutsche Sprache“ entwickelte sich langsam nach Luther erst.

Was ist nun „deutsch“?
Eine Reise durch Jahrhunderte des Entstehens eines National-Bewusstseins: „Die Frage «Was ist deutsch?» ist ihrerseits typisch deutsch – keine andere Nation hat so sehr um die eigene Identität gerungen und tut es bis heute. Wie vielfältig und faszinierend die Antworten auf diese Frage im Lauf der Jahrhunderte ausfielen, das zeigt Dieter Borchmeyer: Von Goethe über Wagner bis zu Thomas Mann schildert er, wie der Begriff des Deutschen sich wandelte und immer wieder neue Identitäten hervorbrachte. Er erzählt von einem Land zwischen Weltbürgertum und nationaler Überheblichkeit, vom deutschen Judentum, das unsere Auffassung des Deutschen wesentlich mitgeprägt hat, von der Karriere der Nationalhymne und der deutschesten aller Sehnsüchte: der nach dem Süden.“

Ein weites Land mit vielen Unterschieden
Dabei gab es sie früh und immer wieder, zentrale Anziehungspunkte in deutschen Landen. Doch war und ist „Preußen“ halt nur ein Teil, vielleicht gar ein bremsender (gewesen)? „Borchmeyer erklärt, wie gerade die deutsche Provinz – etwa Weimar und Bayreuth – Weltkultur schaffen konnte und was es für Deutschland bedeutet, sich entweder als Staats- oder als Kulturnation zu verstehen.“ Er „zeichnet ein facettenreiches und eindrückliches Bild des deutschen Nationalcharakters. In einer Zeit der Umbrüche, in der Deutschland wieder einmal seine Rolle sucht, ist diese große Geschichte der deutschen Selbstsuche Spiegelbild und Wegweiser zugleich.“ Sich derlei bewusst zu machen und zu werden, brauchte es offenbar auch das „Sommermärchen“ 2006 mit der Fußball-WM, gerade in Zeiten wie diesen. In denen neue Diskussionen erforderlich sind, rund um antijüdische Aktivitäten.

Alles negativ?
Gelegentlich fühlte ich (als Sprachwissenschaftler in früherer Zeit) mich auch bei dieser ausgiebigen Lektüre erinnert an die Aussage eines Kollegen bei „Allgemeine Sprachwissenschaft“, eines Germanisten, der gesprächsweise erwähnte, er habe nun schon extrem viele Sprachen der Welt sich angeschaut – Deutsch sei mit weitem Abstand jene mit den meisten Möglichkeiten, etwas negativ auszudrücken. Durch Wörter (kein, nie, nicht …) wie Wortbildungen (un-, -los usw.). Wird damit ein Klischee bedient („Die Deutschen sehen immer schwarz“) – oder hat sich das sprachlich durch Erleben entwickelt? Wie auch immer, ist das wirklich „typisch deutsch“?

Umfassender Inhalt
XII Kapitel auf weit über 900 Seiten (plus Anhang-Apparat, zudem reich bebildert) braucht es für diesen Parforce-Ritt durch viele Jahrhunderte „Deutsch“: Das Deutsche im Spannungsfeld von Provinz, Nation und Welt – Phänomenologie des Deutschen – Nationale Identität und deutsche Mythologie – Kritik des deutschen Charakters – Stil und nationale Identität-Hintergründe ihrer Verfehlung – Die Erfindung der deutschen Klassik und ihre Folgen – Nationalhymne und Nationalmythos – Deutschtum und Judentum-Eine tragische Illusion? – Deutsche Universität und Deutsche Philosophie-Glück und Ende einer Wechselbeziehung – Das Paradigma der deutschen Musik – Thomas Manns Summe des Deutschtums – Die Deutschen seit der Wiedervereinigung. Voila, ein erster Überblick für Sie … HPR

Hanspeter Reiter