Skip to main content

Wie das Gehirn die Seele macht

Autor Roth, Gerhard/ Nicole Strüber
Verlag Klett-Cotta
ISBN 978 3 608 94805 9

Das Autorenpaar zeigt folglich eindrücklich, welche Funktionen und Auswirkungen das komplexe Zusammenspiel der „Sprache der Seele“, nämlich der Neuromodulatoren, -peptide und –hormone, auf die gesamte Befindlichkeit, auf Optionen und Grenzen der Entwicklung eines Menschen haben, damit der Rolle für die Bildung der Persönlichkeit und vor allem für die Ausbildung bestimmter psychischer Störungen. Ausführlich behandeln sie das Zusammenspiel von Hirnphysiologie mit genetischer Disposition, epigenetischen Veränderungen und soziokultureller Umwelt. Neurobiologisch greift das Autorenpaar auf Modelle zurück, die Gerhard Roth in seinem lesenswerten Buch „Bildung braucht Persönlichkeit“ bereits ausgeführt hat: das Modell der drei limbischen Ebenen (untere, mittlere, obere)plus der sprachlich-kognitiven Ebene sowie die Systematik der sechs psychoneuronalen Systeme (Stressverarbeitung, Selbstberuhigung, Bewertungs-, Belohnungserwartung, Impulshemmung, Bindung, Realitätssinn und Risikobewertung).

 

Die Ausführungen beginnen mit der Herleitung einer Abgrenzung des Seelenbegriffs. Knapp formuliert: Geistes-, Sozialwissenschaften gegen Neurobiologie/physiologie. Die Autoren betonen immer wieder, vor allem in der Einleitung und in der Zusammenfassung am Schluss, dass sie a) den Seelenbegriff aus neurobiologischer Sicht definieren und b) keine Reduktionisten seien in dem Sinn, dass sie Le Doux` Fazit teilten: Eine Mensch ist seine Synapsen. Gerhard Roth und Nicole Strüber befriedigen jene Leser, die präzise Auskünfte verlangen, nicht ganz, und philosophisch kompetente Unterstützung für ihre Sowohl Biologie als auch Nicht-Biologie (durch den Zaubertrick der „Emergenz“)-Position hätten sie bei Wolfgang Welsch gefunden (Mensch und Welt; Homo Mundanus). Am wenigsten missverständlich scheinen die Ausführungen in der Zusammenfassung am Schluss: „Das synaptische Geschehen bildet …. eine notwendige Voraussetzung für das Seelische; denn hierüber kommunizieren die limbischen Zentren und Ebenen mit einander und mit den vegetativen, sensorischen, kognitiven und exekutiven Zentren des Gehirns. Dieses Geschehen ist aber nicht hinreichend. …Viel eher könnte man sagen: Wir, also unsere Psyche und Persönlichkeit, sind das Ergebnis der Interaktion von Genen und Umwelt“, einschließlich epigenetischer Veränderungen, die teilweise transgenerationell weitergegeben werden. (S. 382)

 

Seelenbegriff und hirnphysiologische und –psychologische Verständnisweisen von Un-, Vor- und Bewusstsein werden auf sechs psychische Störungen bezogen. Die leitendende Frage lautet zunächst: Wie können sie neurobiologisch gefasst werden? Sodann werden Hauptaspekte einschlägiger Psychotherapien skizziert; nach einem Überblick über die Wirkungsforschung fragen die Autoren differenziert nach deren Wirkungsweise aus neurowissenschaftlicher Sicht, geben einige Empfehlungen für Psychotherapeuten und schließen mit dem Ausblick auf eine „Neuropsychotherapie“.

 

Das Buch sei nicht nur Psychotherapeuten und Psychologen empfohlen, sondern auch Personen, die in Aus- und Weiterbildung, Beratung und Coaching tätig sind. Denn hier halten sich noch offenkundig wenig haltbare Simplifizierungen, gerade wenn es um die Bedingungen der Möglichkeit des (Um) Lernens geht.

 

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

 

Regina Mahlmann