Skip to main content

Wie kommt der Geist ins Hirn?

Autor Johann Ortner
Verlag sonstige
Seiten 190 Seiten
ISBN 3631568223
Preis 39,00

Der zweite Untertitel, der sich auf der ersten Seite im Buch findet, lautet: „Geschichten und Argumente zum Widerstreit zwischen Geistes- und Neurowissenschaften“ und kommt der Art, wie das Buch geschrieben ist, recht nahe. Lesende, die einen fachlichen, eher konventionellen Diskurs erwarten, weil sie andere Texte kennen (z.B. aus dem Suhrkamp-Verlag), die sich mit der Titelfrage und auch dem ersten Untertitel befassen, werden überrascht. Denn das Buch liest sich genau so, wie es der Autor – fast vorsichtshalber – ankündigt: Er geht davon aus, „dass der moderne, wissenschaftlich gebildete Mensch fast schon allwissend sei“; der Text sei dennoch „getragen von dem Glauben, ich könnte … noch ein Quäntchen hinzufügen zum bereits vorhandenen Wissen….“; gleichzeitig gilt: „Vorsichtshalber muss ich daher davon ausgehen, dass es die vermeintlichen Lücken gar nicht gibt, dass irgendjemand auf dieser Welt das alles schon gedacht, gesagt oder niedergeschrieben hat“ (1). Zuweilen stimmt der aufmerksame Leser ein in das Geständnis:  „Offen gesagt: Eigentlich weiß ich nicht, für wen und wozu ich mir die Mühe gemacht habe, einen Teil meines Lebens mit dem Formulieren von Sätzen und Eintippen am Computer zu verbringen“ (S. 1, 3).

Die Zitate offenbaren bereits, dass es sich um ein sehr persönliches Buch handelt, mit Geschichten und Argumenten gespickt, auch mit zahlreichen Fußnoten und Zitaten, die – meist kommentiert – auf die Belesenheit des Autors hinweisen und die intellektuelle Wachheit seines eher essayistischen Argumentierens und Darstellens mit wissenschaftlichen oder Erkenntnissen zahlreicher anderer Denker, die sich um die Thematik verdient gemacht haben, fundieren. Der Autor präsentiert seine Überlegungen eher spontan und assoziativ, im Wechsel des Stils von salopp bis begriffsanalytisch. Dabei verknüpft er vorliegende Erkenntnisse mit persönlichen Erlebnissen, Beispielen und – so die Behauptung – eigenen Überlegungen, denen ein vermuteter Neuheitswert zukommt. Aber neu oder nicht: Die Zusammenstellung mutet zuweilen amüsant, zuweilen lehrreich und zuweilen originell an und provoziert auf diese Weise sowohl das Mitdenken der Lesenden als auch das Hervorkriechen von passivem oder implizitem Wissen (oder „tacit knowledge“), einem Wissen im Lesenden also, das zwar vorhanden, aber dem aktiven Zugriff entzogen ist. Insofern eignet sich das Buch, je nach „Geschmack“ als Sammelsurium bzw. als Schatzkammer zu fungieren, in dem zu stöbern bzw. in die hinein zu gehen es sich ab und zu gewiss lohnt, nämlich dann, wenn man sich mit der Frage beschäftigt, wie Wissen verstanden werden und sein Generieren vorgestellt werden kann. Die Ausflüge in verschiedene Disziplinen der Geistes- und Naturwissenschaften sorgen auch unter der Bedingung für interessante Begegnungen, dass mit Vorwissen ausgestattete Lesende auf viel Vertrautes stoßen und gar den einen oder anderen Theoretiker oder die eine oder andere Strömung vermissen (etwa sprachanalytisch Derrida) . (Die Behauptung allerdings, „Mein Text kann auch gelesen werden als Kommentar (bzw. Geschichten und Argumente) zum Streit zwischen Geites- und Neurowissenschaften“ (S. 113), trifft nur ausschnittweise zu.)

Vielleicht ist es dem scheinbar spontanen oder impulsiven, assoziativen „Eintippen am Computer“ (s.o.) zuzuschreiben, dass – die Abwesenheit eines Lektorats wohlwollend vorausgesetzt – es im Buch vor Tipp- und Interpunktionsfehlern, die zuweilen die Syntax und damit das Verständnis berühren, nur so wimmelt. Das ist schade; denn der Gestus des Buches, die Konnotation des persönlichen Anliegens, das sich „im Denken bewegen“, wie ein bei Suhrkamp erschienenes Buch lautet, kann durchaus erfrischen.

Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de

Dr. Regina Mahlmann