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Wintersaat

Autor Almuth Herbst
Verlag Solibro
ISBN 978-3- 960-79027-3

„Historischer Roman aus dem Münsterland“ mit fast 900 Seiten ist ein spannungsgeladener – tja, was? Abenteuer-Roman, würde ich sagen. Er hat viel vom klassischen Bildungsroman, bezogen auf die Hauptperson Jeremias…

Anderthalb Jahrzehnte
…nimmt die Autorin ihre Leser mit. Vom Teenager zum fast 30-Jährigen entwickelt sich das Leben von Jeremias durch viele Schicksalsschläger, durchaus auch selbst verursacht. Ein Stehauf-Männchen, absolut willig, sein Schicksal anzunehmen und resilient damit umzugehen… „Schicksal ist nicht das, was passiert. Schicksal ist das, wohin der Charakter lenkt. Schicksal und Charakter. Die stammen aus demselben Nest.“ Hier spielt die Geschichte, mit vielerlei historisch belegten Personen und Kontexten: „Münsterland, Ende des 17. Jahrhunderts: Ein halbwüchsiger, schnöseliger Adliger wird aus seiner privilegierten Welt gerissen und durch die Hölle gejagt. Er lernt, um welche Dinge es sich wirklich zu kämpfen lohnt: Freundschaft, Heimat, Familie und die große Liebe. Die Amsterdamer Kaufmannstochter Anderske Dijkersma reist von der münsterischen Zweigstelle ihres Vaters ins katholische Olfen, um vor ihrer Eheschließung mit dem Sohn des berühmten Amsterdamer Chirurgen Nicolaes Tulp die Kargheit des westfälischen Lebens kennenzulernen. Was als Besserungsmaßnahme für den verwöhnten Querkopf geplant war, entpuppt sich als Fiasko.“ Denn wie fast zu erwarten war: Sie nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand … Vielerlei Einblicke in dörfliches wie städtisches Leben wird geboten. Und schon mal ein Seitenblick zum Nachbarland, kommt doch Amsterdam immer mal wieder in den Fokus, natürlich: Tulpenzwiebel inklusive, noch sind sie was wert …

Apothekerin, Hebamme, Hexe
Ja, auch damals noch konnte das die „Karriere“ einer Frau mit Kräuter-Kenntnissen sein, wie sich auch hier zeigt… Doch eines nach dem anderen: „Mit ihrem Schicksal verwoben ist die Geschichte des Erbdrostensohns Jeremias von Neuhoff-Ascheberg, der die heimatliche Rauschenburg an der Lippe verlässt, um nach Münster zum Studium aufzubrechen, dort jedoch erst 20 Jahre später ankommen wird. Spannend erweckt dieser historische Entwicklungsroman die barocke Zeit im Münsterland zum Leben. Er lässt den Leser eintauchen in eine Welt von Leibeigenen, braven Bürgern und gefährlichen Räubern in dunklen Wäldern.“ Frau wie Mann hat mit Rollenbildern zu kämpfen, ob gut-bürgerlich oder in der Räuberhöhle im tiefen Wald.

Der Rahmen der Geschichte
Ob da noch ein happy-ending rauskommen kann – und wenn ja, welches: Das fragt sich Leser immer wieder. Hat die Autorin doch ihre diversen Spannungsbögen geschickt entwickelt, offenbar über Jahre hinweg, wie sie selbst im Appendix schreibt. Viel hat sie hinein gewoben: „Der dramatische Roman spielt zwischen Nordkirchen und Münster, Olfen und Tecklenburg, in der Davert und am Venner Moor und verknüpft historische Fakten mit überlieferten Sagen und einer ergreifenden Liebesgeschichte. Die dargestellte Dramatik und die intensive Gefühlswelt lassen die Opernerfahrung der Autorin durchscheinen.“ Da lässt sich schlicht dieses Fazit ziehen: Wenn sie so gut singt wie sie schreibt – voila! Lesen, denn: Die Schreibe ist bestens lesbar – und außer Spannung und Schmunzeln gibt es eine Menge geschichtlichen Input. Und manchen Augen zwinkernden Seitenblick auf Literatur, wenn etwa „ein kreischender Knabe mit einer Blechtrommel“ auftritt, der auch noch Oskar heißt (S. 185), nett! Dramaturgisch verzichtet Almuth Herbst häufig darauf, Szenen auszuschmücken, gerade wenn es um Gewalt geht: Andeutungen genügen, den Fortgang sich auszumalen. Und zum guten Schluss darf Leser selbst überlegen, wie´s weitergehen könnte …HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter