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Robin Gettup fragt: “Wer kann eigentlich heute noch Briefe lesen?“

Also – das ist mir jetzt schon so häufig passiert, dass ich mal diese Umfrage starten muss.
Ich traue mir nach jahrzehntelanger Übung zu, Briefe so zu texten, dass ich mein Anliegen einigermaßen klar rüberbringe. Gut – ich weiß, ich weiß, ja, bitte Ruhe unter den Kommunikations-Gurus – die Verantwortung für das Gelingen einer Botschaft trägt immer der Sender. Abgehakt? Genehmigt?
Liebesbriefe sind eine besondere Species (= Art, Gattung, Sorte). Da muss man sehr viel „zwischen die Zeilen“ hineindichten – virtuell (= nicht wirklich). Aber auch in dieser Kunst war (und bin!) ich relativ erfolgreich. Die Adressatinnen wussten meistens sehr genau, manchmal sogar zu genau, worauf ich hinauswollte. Dann war keine Antwort auch eine Antwort.
Aber darum geht es hier nicht, sondern um Geschäftsbriefe. Man schildert einer Firma, einem Dienstleister(!) oder auch einem Minister sein Begehr, ausführlich, höflich, gut begründet, auf 80 Gramm-Papier, laserbedruckt, 12 Punkt Times Roman. Hervorhebung halbfett im Betreff. Fast neue Rechtschreibung.
Dann bekommt man eine rätselhafte Antwort, schaut ins Adressfeld, fasst sich an den Kopf, schüttelt denselben mehrmals, murmelt „Bahnhof“; denn soviel versteht man, mehr nicht. Man liest die eigene Kopie zur Sicherheit nochmal. Liest das Empfangene – und kommt zum Schluss: Entweder haben die sich mit der Adresse vertan, oder der hochbezahlte Empfänger plus Sekretärin plus Typistin können sämtlich nicht lesen. Oder haben die falsche Textkonserve angewählt.
Abwarten bis man wieder mildtätig gestimmt ist und nachhaken. Kopie des Erstbriefes beilegen, das Anliegen noch einmal schildern, eventuell Beweismittel beifügen.
Heißa – es liegt eine Antwort im Briefkasten. Des Inhalts, dass der Fehler (Missstand, Irrtum) ganz gewiss bei mir liege, denn ihrerseits sei alles korrekt. Der Computer kann nicht irren. Gezeichnet von Seiner Makellosigkeit. Oder i.A. Karin Wagrainer. Name verfremdet.
Beispiel: Seit Wochen werden meine Faxe unter der falschen Telefonnummer abgerechnet, die Telefonate wiederum unter der Faxnummer. Beweismittel beigefügt. Korrektes Anmeldeformular beigefügt.
Die dritte Antwort: Das kann gar nicht sein! Die Abrechnung stimmt. Was gar nicht bezweifelt wurde. Bitte  l e s e n ! Dafür steht im nächsten Telefonbuch statt der Telefonnummer die Faxnummer. Wie sag’ ich’s meinem PISAner?
Noch ein Beispiel: Ein Kontoauszug irrt durch das postalische Nirwana, hin und her, mit vielen Stempeln „Adressat unbekannt verzogen“ und so weiter. Über eine Drittadresse („Wissen sie was über den Verbleib von…? Ist er im Kittchen? Verstorben? Geflüchtet?“) erreicht mich der Weitgereiste. Ich versuche durch Brief zu klären, dass wertes Institut seit 27 Jahren die aktuelle, stetige Adresse kennt und ständig nutzt. Der Kontoauszug aber an die Anno-dunnemals-Anschrift gerichtet wurde. Die telefonische Antwort: „Das kann gar nicht sein! Dann haben Sie uns Ihre neue Anschrift nicht mitgeteilt!“ – „Aber seit ich bei Ihnen Kunde bin, hatte ich nie eine andere Adresse! 27 Jahre lang!“ – „Das kann gar nicht sein!“ Nein, wirklich nicht.
Übrigens plane ich Lesekurse, für Personen im schriftlichen Kundenkontakt. Zunächst für Anfänger. Falls noch vorhanden, die Fibel für das 1. Schuljahr mitbringen. Anmeldungen unter Pseudonym möglich. Vorkenntnisse nicht erforderlich. Für Referenten aus Ministerien o.ä. diskretes Coaching nach Vereinbarung.



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