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Schwarz ist weiß und Pepsi schmeckt besser als Coca

„Nicht wahr? Sinneskanäle, Hirnwindungen und Grenzen der Wahrnehmung“ Nürnberg 2007

Schon der kontroverse Beginn des diesjährigen Symposiums machte deutlich: Wer immer eindeutige Antworten auf scheinbar klare Fragen erwartete, musste sich in der Gewissheit der Ungewissheit einrichten. Wo ist sie, die „Wahrheit“? In den Hirnwindungen? In den Sinneskanälen? Oder doch eher in den Grenzen der Wahrnehmung?
Als am Freitagabend Wissenschaft auf Philosophie traf, wollten selbstverständlich viele dabei sein. Die brillanten Eröffnungsvorträge von Prof. Dr. Singer und Prof. Dr. Pauen lieferten eine interessante und facettenreiche Ausgangsposition für die anschließende Diskussion mit dem Publikum. Es sind all jene zu bedauern, die sich dieses intelligente und erfrischend inspirierende Vergnügen entgehen ließen oder entgehen lassen mussten. Das Symposium war ausverkauft.
Viele Besucher hatten sich aus freiem Willen entschlossen, bis 22.30 Uhr zu bleiben und setzten nach Ende der Eröffnungsveranstaltung die Diskussion auf der Straße fort. Einen besseren Einstieg kann man sich als Veranstalter wohl kaum wünschen. Es stand fest: Das Wochenende wird ereignisreich!
Am Samstag und Sonntag wurde in 12 hochklassigen Beiträgen dem Publikum ein Einblick in Vorgänge unseres  Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsorgans geliefert.
Ein Blick durch das “Fenster zum Gehirn“ zeigte, „Was wir zu sehen denken“, „Wie die Bilder in den Kopf kommen“ und „Die Landkarte im Kopf“.
„Gehirne begreifen und erfassen“  „Das Herrmann-Gitter“, „Was können Blinde sehen?“, „Synästhesie“, aber auch „Neuroökonomie“.
“Cocktailparties und Hörgeräte“ und „Die Macht der Düfte“ vermittelten ein „Mittendrin statt nur dabei“ ( alle genannten Vorträge unter www.turmdersinne.de Symposium 2007 )
Sind wir wirklich so frei wahrzunehmen, zu fühlen, zu denken und zu handeln, wie wir doch immer alle meinen? Die demonstrierten optischen Täuschungen hinterließen daran ganz sicher dauerhaft deutliche Fragezeichen in den Gehirnen der Zuhörer und Zuschauer.
Freier Wille doch frommer Wunsch! Wie agiert denn nun die Wahrnehmung in den Sinneskanälen?
Jeder Wahrnehmung ist konstant eine feste Bedeutung zugeordnet. Glauben wir zumindest !
Dass gesehen, aber auch gehört, gerochen, geschmeckt und ertastet geglaubte Inhalte von unserem Gehirn regelgeleitet konstruiert werden, daran ließen die in allen Vorträgen demonstrierten Beispiele keinerlei Zweifel. Unser Ich akzeptiert dabei dasjenige Ensemble als wahr, das sich am stabilsten und als das an Widersprüchen ärmste erweist. So konnte man sehenden Auges sein wissendes Gehirn aus dem Gleichgewicht gebracht empfinden und sich der Faszination der Materie überlassen.
Vorwissen, Wahrnehmungsdifferenziertheit und emotionale Bewertung entscheiden, wie unser jeweils aktuelles komplexes Bild von Welt im Kopf beschaffen ist und wie wir Welt begreifen und erfassen. Wussten Sie, dass es in der deutschen Sprache kein Wort für den Verlust des Tastsinns gibt?   
Etwas Tröstliches in all der Ungewissheit konnten allerdings alle Teilnehmer erleben: Was man kennt, kann nicht mehr täuschen. Erkanntes wird nicht wieder vergessen und man kann lernen, die Perspektive zu wechseln, Wahrnehmen und Handeln als interaktiver Prozess.
Für manche Symposiumsteilnehmer reichte eine kleine Augenbewegung, manche im Saal mussten allerdings auch den Kopf drehen um aus gesehenen braunen und weißen Flecken eine Pferdeherde in 3D entstehen zu lassen. Wurden einmal die Umrisse vorgegeben, war die Kuh zu erkennen, die vorher im Weiß und Schwarz nicht zu sehen wahr. Die genannten Beispiele finden Sie übrigens unter www.turmdersinne.de , Symposium 2007.
Besonders verwiesen sei hierauf : „Hallucii – an „impossible“ movie“ von Goo-Shun Wang. Eventuelle Ähnlichkeiten mit realen Personen könnten rein zufällig sein, sind aber ganz sicherlich beabsichtigt. Schauen Sie doch einfach mal rein und lernen Sie, zu staunen!
Das durften auch die Neuroökonomen bei ihren Untersuchungen. Prof. Dr. Kenning, Zitat: „Man kann am besten über das reden, was man selbst erfahren und entwickelt hat.“ zeigte, dass es einen deutlichen Unterschied im Konsumverhalten von Cola-Trinkern gibt: Rote Dosen wurden in einer Versuchsanordnung deutlich häufiger gewählt als blau-rote. Die Entscheidungsfindung, d.h. der Handlungsimpuls „Zugreifen bei rot“ erfolgt zeitlich vor der kognitiven Be- und Verarbeitung. Es wird also emotional entschieden. Nebenbei, die Sorte aus der roten Dose schmeckt auch besser als die andere. Oder? Aber nicht vergessen dabei: Die bewussten Gründe sind oft nicht die zutreffenden Motive. (Zitat W.Singer)
Farben hören, Töne schmecken? Das geht nicht! Doch, es geht! Für Synästhetiker ist die gelebte Wahrnehmungswelt anders vernetzt. Und falls Sie kein Synästhetiker sind, wird Ihre Antwort auf die Frage „Welche Farbe hat der Montag?“ eben nur ein Wort sein, vermutlich
-blau-, aber Sie erleben den Montag nicht als Farbe.
Ich habe mir erlaubt, Sie auf eine kleine Reise durch das Themenspektrum des diesjährigen Symposiums  „Nicht wahr? Sinneskanäle, Hirnwindungen und Grenzen der Wahrnehmung“ mitzunehmen. Zweifelsohne wahr ist, dass Ihr Gehirn nach dem Lesen dieses Textes, zumindest für einige Zeit, nicht mehr so ist, wie es vorher war.
Ein Dank an die Referenten, die sich mit Ihren Vorträgen so intensiv, anregend und überzeugend des Umbaus der neuronalen Architektur der Symposiumsteilnehmer gewidmet haben. Wie sagte doch einer der Referenten so treffend: „Es ist so schwierig zu erklären, weil es so einfach ist.“
Der abschließende Applaus sprach Bände.
Fazit bis auf Weiteres: Denken hilft, das Gefühl entscheidet. Dazu noch mal Prof. Dr. Singer: „Leben wir damit, dass unsere kognitiven Leistungen beschränkt sind.“
Wir müssen uns wohl vorerst damit zufrieden geben, dass unsere Welt, sowohl innen als auch außen, voller Überraschungen steckt und wir uns unserer Selbst nicht immer sicher sein können. Vielleicht eröffnen diese drei perspektiverweiternden Tage in Nürnberg Möglichkeiten, den Umgang miteinander mit mehr Gelassenheit zu gestalten, denn „Der Andere ist kein Idiot. Er hat sich eben eine andere Wirklichkeit konstruiert.“ (Paul Watzlawick)
Betrachten wir die Fähigkeiten unseres sich selbst organisierenden Systems mit nichtlinearer Dynamik als Geschenk und Aufforderung

Elke Bräuer, Göttingen

Ausblick:    10.-12.10.2008     Germanisches Nationalmuseum in Nürnberg
                        Künstliche Sinne-gedoptes Gehirn
                        Neurotechnik und Neuroethik



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